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Die Metamorphose des Setzers

Von Christian Hoffmann

Wissen
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Metamorphosen: Schriften werden auch heute noch von gelernten Setzern gesetzt, jedoch mittlerweile per Computer.
© Moritz Ziegler

Verwandlungen finden nicht nur in den Mythen statt, von denen der römische Dichter Ovid erzählt. Die Arbeitswelt war in den letzten Jahrzehnten voll von dramatischen Veränderungen. Das "Wiener Journal" ist diesen Metamorphosen an einem Beispiel nachgegangen: dem Beruf des Setzers.


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Alte Männer sind sie ja nun wirklich nicht: Josef Vrany, Jahrgang 1956, leitet in der "Wiener Zeitung" die Abteilung Produktion, in der auch Christian Kornherr, Jahrgang 1965, arbeitet. Und trotzdem reicht ihre berufliche Erfahrung zurück in eine Vergangenheit, die so fern zu sein scheint wie das Zeitalter der Dampflokomotiven und Pferdekutschen. Beide haben den Beruf des Setzers gelernt und noch einige Jahre in alter Tradition an Setzkästen mit Bleilettern hantiert. Heute sitzen sie an Schreibtischen wie Millionen andere Büroangestellte auch, es ist selbstverständlich geworden, dass das Layout auf Bildschirmen entsteht, dass die Hände sauber bleiben und dass man keine Sandseife mehr braucht, um am Ende eines Arbeitstages schwarze Bleirückstände wieder loszuwerden. 
Doch die Metamorphose, die ihr Beruf durchgemacht hat, erschöpft sich längst nicht in Äußerlichkeiten. Josef Vrany bewarb sich 1972 um eine Lehrstelle, nachdem er eine höhere Schule abgebrochen hatte. "Ich wollte nicht irgendeinen Beruf lernen und der Setzer galt als Intelligenzberuf." Auch Christian Kornherr, der 1980 als Lehrling begann, erinnert sich noch an eine Aufnahmeprüfung, die einige Stunden in Anspruch nahm und bei der die Bewerber unter anderem Deutschaufsätze  verfassen mussten, um ihre Fähigkeiten, mit Texten umzugehen zu beweisen. Nein, nein, in die Welt der Setzer, der "Jünger der Schwarzen Kunst", aufgenommen zu werden, war eine ernsthafte Angelegenheit, weit davon entfernt, einen beliebigen Job anzunehmen. In dieser Welt herrschten eigene Regeln und ein eigener Kodex, was sich schon an alten Grußformen ablesen ließ, wie: "Gott grüß die Kunst", eine Wendung, die bis ins Jahr 1740 zurückverfolgt werden kann und auf die die korrekte Antwort lautete:  "Gott grüße sie".
Beide haben ihr Berufsleben noch mit dem klassischen Bleisatz begonnen, bei dem man, den Blick auf ein Manuskript gerichtet, aus einem Setzkasten die passenden Lettern zusammenstellte, und zwar ohne die Buchstaben anzuschauen. "Man hat gespürt, welchen Buchstaben man in der Hand hatte", sagt Josef Vrany. "Ein I war natürlich an den Fingerspitzen ein ganz anderes Gefühl als ein M." Neben dem Handsatz gab es dann auch noch den Maschinsatz an Linotype-Maschinen, erfunden auch schon im Jahr 1886, an denen der Setzer mit drei Fingern jeder Hand auf einer Tastatur in Blei gegossene Zeilen in passender Spaltenbreite produzierte.
Die Metamorphose, die diese ganze Jahrhunderte alte Welt auf den Kopf stellte, ging von der Technik aus und erfasste schließlich den Arbeitsalltag bis in die letzte Einzelheit. Bereits Ende der 70er Jahre kamen die ersten Maschinen für den Fotosatz auf, mit denen einzelne Buchstaben fotografiert wurden; ihnen folgte bald der Lichtsatz, bei dem bereits Kommandos an Computer übergeben wurden, was so mancher der ehrwürdigen Setzer für ein wenig ernsthaftes Experiment hielt, bestenfalls eine Spielwiese der Jungen, zu denen damals Josef Vrany und Christian Kornherr zählten.
Doch dann ging alles sehr schnell und die alte, seit mehr als hundert Jahren kaum veränderte Welt entschwand beinahe im Handumdrehen. Schon bald wurde der Umbruch der Zeitungsseiten auf Leuchttischen geklebt und bald danach, im Lauf der 80er Jahre, kamen die Computer auf, das moderne Desktop-Publishing, das bald auch die Arbeit an den Leuchttischen überflüssig machen sollte, ganz zu schweigen von Setzkästen und Bleilettern.
Wenn sie den Charakter der Veränderung beschreiben sollen, die sie durchlebt haben, dann werden die beiden sofort grundsätzlich. "Der ganze Anspruch der Berufsgilde hat sich verändert", sagt Josef Vrany. Das beginnt bei strikten Berufsregeln, wie dem Verbot, manche Schriften zu mischen, oder bei Feinheiten im Umbruch, wie dem "Hurenkind", einem alten Setzerausdruck für eine einzelne zur nächsten Druckspalte überhängende Zeile, etwas ganz und gar Ungehörigem, das mittlerweile auch in anspruchsvollen Medien zu finden ist. "Überhaupt musste die ganze Arbeit viel besser geplant sein", sagt Christian Kornherr. Das Konzept für eine Seite im Nachhinein mehrfach zu ändern, was heutzutage am Computer problemlos möglich ist, wäre viel zu teuer geworden.
Dazu kommt noch vieles andere. Manche Fertigkeiten, die sich der Lehrling aneignen musste, wie zum Beispiel die Kunst, auf dem Kopf stehende Schriften flüssig zu lesen, braucht heute niemand mehr. Außerdem hat sich das starke Gefühl der Gemeinschaft verloren, das die Setzer früher einmal verband, in einer Zeit, in der man noch in der Freizeit miteinander Tischtennis oder Fußball spielte und auch, wenn es notwendig war, sich um Kollegen kümmerte, die Probleme hatten. Sobald sich die Computer  durchzusetzen begannen, machte sich der eine oder andere selbständig und baute ein eigenes Studio auf, in dem gewisse Arbeiten zu einem niedrigeren Preis angeboten wurden, woraus sich eine ganz neue Art der Rivalität ergab. Und dann natürlich der Abbau von Personal. Für die Arbeit, die seinerzeit hundert Mann erledigt haben, sind heute ungefähr 15 erforderlich.
Daneben gibt es aber auch eine ganze Reihe von Verbesserungen, die die Metamorphose des Setzers mit sich brachte. "Vor allem", sagt Josef Vrany, "hantieren wir heute nicht mehr mit Gift." Und die strikten, über Jahrhunderte aufgebauten Hierarchien sind verschwunden, in denen sich der Lehrling nach und nach hocharbeiten musste, bis er zum Beispiel eine Linotype-Maschine bedienen durfte oder als Metteur eine Gruppe leitete.
Doch im Grunde genommen ist es wie bei den "Metamorphosen" des Ovid: Niemand fragt die Beteiligten, ob ihnen die Verwandlung angenehm ist oder nicht. Sie fand einfach statt und hat eine neue, andere Welt erzeugt.