Sie trat bei den Wahlen gegen Putin an. Doch den Vorwurf, ein "Kreml-Projekt" zu sein, wird Sobtschak nicht los.
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Moskau. Es gab eine Zeit, da tourte Ksenia Sobtschak durch die Lande. Sie kletterte auf Müllberge, prangerte den Sexismus in Russland an und brüllte in Megafone. In einer Fernsehshow warf sie ein Wasserglas nach dem Rechtsaußen Wladimir Schirinowskij, nachdem dieser sie aufs Übelste beleidigt hatte. Sie reiste sogar nach Washington, um dort über die US-Sanktionen gegen Russland zu sprechen.
Wer heute ihren Namen in die Suchmasken eingibt, stößt auf eine ganz andere Sobtschak. "Wie jede Frau ist Ksenia Sobtschak immer auf der Suche nach der Universalformel zum Abnehmen, die ihr dabei helfen kann, für immer schlank zu bleiben", schreibt die "Komsomolskaja Prawda". In einem Lifestyle-Magazin gibt Sobtschak derweil Tipps, wie man in Moskau zu einer schicken Eigentumswohnung kommt.
Die 36-jährige Sobtschak ist eine Meisterin darin, sich neu zu erfinden. Doch die jüngste Wandlung war selbst für ihre Begriffe ein harter Schnitt. Nur wenige Monate liegen zwischen den beiden Rollen - der unbequemen Präsidentschaftskandidatin, die bei den Wahlen am 18. März mit dem Slogan "Gegen alle" antrat, und dem Gossip. Wenngleich ihr bei den Wahlen von vorneherein kaum große Chancen eingeräumt wurden, kam sie auf ein enttäuschendes Ergebnis von knapp 1,7 Prozent der Stimmen.
Dass sich ein Promi nach einer Niederlage wieder aus der Politik zurückzieht, ist eigentlich nicht ungewöhnlich. Doch geplant war die Sache eigentlich anders - zumindest offiziell. Unter großem Medienrummel hatte Sobtschak noch wenige Tage vor dem Wahltag gemeinsam mit dem Oppositionspolitiker Dmitrij Gudkow die Gründung einer neuen Partei angekündigt. "Wollt ihr in einem freien und jungen Russland leben?", rief Ksenia Sobtschak damals in einer Halle in das Mikrofon, unter dem Slogan: "Der Frühling ist nahe."
Beim Bürgermeister bedankt
Doch mittlerweile ist es Hochsommer. Dass sich Sobtschak zu Politik äußert, ist selten geworden. Wenige Wochen vor den Moskauer Bürgermeisterwahlen am 9. September hat sie eine Ausnahme gemacht. Dass sie sich auf Instagram für die Gründung eines neuen Sonderpädagogik-Zentrums für Kinder direkt beim kremltreuen Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin bedankt hat, wurde ihr vom Oppositionellen Alexej Nawalny einmal mehr als Beweis ausgelegt, mit dem Kreml im Bunde zu sein und für Sobjanin zu werben. "Ich unterstütze ihn nicht", konterte Sobtschak die Vorwürfe auf Facebook, "doch zugleich begrüße ich die positiven Veränderungen, die es nun mal in Moskau gibt."
Es ist ein Vorwurf, der Sobtschaks politischen Ambitionen von Anfang an begleitet hatte: ein "Kreml-Projekt" zu sein, wie viele Kollegen aus Oppositionskreisen ätzten. Alleine ihre Vita hatte bei vielen schon für Naserümpfen gesorgt: Sie ist die Tochter Anatolij Sobtschaks, des ehemaligen Bürgermeisters von St. Petersburg, der als politischer Ziehvater Putins gilt. Sobtschak machte eine Karriere als Reality-TV-Star, wie etwa als Moderatorin in "Dom-2", eine Art russisches Big Brother.
Doch später wechselte sie auf die Seite der Opposition. Bei den Winterprotesten 2011/12 wurde sie von der Polizei festgenommen. Zuletzt hat sie als Fernsehjournalistin für den kremlkritischen Online-Sender TV Rain gearbeitet, dem 2014 die Lizenz entzogen wurde. "Es ist deine Entscheidung und deine Verantwortung", soll ihr Putin gesagt haben, als sie ihre Kandidatur ankündigte. "Ich nehme nicht teil, um zu gewinnen", räumte sie selbst vor den Wahlen ein, "sondern, um gehört zu werden."
Zuletzt hatte Sobtschak zwar tatsächlich - wie angekündigt - ihre neue "Partei der Veränderungen" gegründet, auf der Basis der sogenannten "Zivilen Initiative" des Oppositionspolitikers Andrej Netschajew. Auf dem Parteitag Ende Juni wurde sie jedoch nicht zur Vorsitzenden gewählt. Ihre Aufgabe werde es sein, der "mediale Lautsprecher" der Partei zu sein, sagte Sobtschak. "Der Vorsitz der Partei und die journalistische Tätigkeit sind nicht miteinander vereinbar. Der Nutzen für die Partei ist wichtiger als irgendwelche Titel." Vorsitzender wird der Oppositionelle Dmitrij Gudkow. Aber die Message ist klar: An vorderster politischer Front kämpft Sobtschak nicht mehr.
Parlamentswahl 2021 im Blick?
Dass Sobtschak nach dem Debakel bei der Präsidentschaftswahl politisch leisertritt, sei nur logisch, meint der Politologe Andrej Koljadin. Sobtschak habe zwar "Mut und Statur" bewiesen, zugleich schlage ihr unter vielen Russen eine "eine derart große Ablehnung gegenüber, die die Zustimmung klar übersteigt", so der Politologe zum Online-Medium RBK. Dass Sobtschak die einzige Frau in einem praktisch ausschließlich männlich geprägten Politikbetrieb ist, der nur so vor Chauvinismus trieft, wird ihr wohl auch nicht zuträglich gewesen sein. "Sie hat von Putin persönlich die Erlaubnis, mit der Politik zu experimentieren", sagt ein Delegierter der neuen Partei, der anonym bleiben will, zur "Wiener Zeitung". "Also lässt er sie ein bisschen spielen."
Ausgeschlossen ist es freilich nie, dass sich Sobtschak nicht wieder neu erfindet. 2021 findet in Russland die nächste Parlamentswahl statt.