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Die Milosevic-Sozialisten ordnen ihre Truppen wieder

Von Carsten Hoffmann

Politik

Belgrad - Die serbischen Sozialisten des gestürzten Diktators Slobodan Milosevic geben sich nicht geschlagen. Drei Wochen nach der Revolte in Belgrad mehren sich die Anzeichen, dass sie ihre Truppen ordnen und aufmüpfige Stimmen in der Partei (SPS) wieder auf Linie trimmen.


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Die Zeitung "Glas javnosti" berichtete gar, Milosevic habe auf einer Sitzung der SPS-Führung in Belgrad eine härtere Gangart gegenüber "Verrätern und DOS-Spionen" in seiner Partei verlangt. In kleineren Gruppen werden die Parteiführer aus der Provinz wieder auf Linie gebracht.

Schon ist es der Milosevic-Partei wieder gelungen, erheblichen Einfluss auf den Ablauf der Entscheidungen zu gewinnen. Die Straßenrevolte mit dem Sturm des Parlamentes in Belgrad mündete in eine "halbe Revolution", die viele Machtstrukturen zunächst unangetastet lässt.

Die Bildung einer gemeinsamen Übergangsregierung von SPS und der Demokratischen Opposition Serbiens (DOS) wäre die nächste Stufe auf dem Rückweg zur politischen Normalität, wurde am Wochenende aber von der SPS blockiert. In dieser Regierung für die jugoslawische Teilrepublik Serbien sollte die Macht bis zu Neuwahlen im Dezember geteilt werden.

Inzwischen melden sich Anführer der Straßenproteste zunehmend kritisch zu Wort. Velimir Ilic, der als Bürgermeister von der Stadt Cacak eine schlagkräftige Truppe aus oppositionellen Sicherheitsleuten in Zivil und Bodybuildern zum Sturm auf das Parlament geführt hatte, sieht den Volkswillen missachtet.

Wechsel ganz durchsetzen

"Mit vollem Recht fordern sie, dass der Wechsel bis zum Ende durchgesetzt wird", sagt er in einem Zeitungsinterview. Ilic, der sich zum "rechten Flügel" der DOS - darunter Nationalisten und Royalisten - zählt, fragt sich, wie die Wähler bei kommenden Wahlen zur Stimmabgabe motiviert werden können.

"Ich glaube, einige Leute in der DOS sind sich der möglichen Konsequenzen eines weiteres Spiels mit der Stimmung der Bürger nicht bewusst", warnt er. Und Vuk Draskovic, der bei den Wahlen gescheiterte, einstige Oppositionsführer, warnt: "Wir dürfen nicht schlafen und feiern und eines Morgens aufwachen und ohne Sieg dastehen."

Weitgehend führungslos stolpert Serbien zunächst der Zukunft entgegen. Ausländische Hilfsprogramme benötigen Partner in der Regierung. Ausländische Geschäftsleute finden in Streik-Räten der Beschäftigten, die die Kontrolle über Staatsbetriebe übernommen haben, keine Ansprechpartner.

Preise explodieren

Für erste Verbitterung sorgt schon eine Explosion der Preise in Serbien. Nachdem die Sozialisten als "Abschiedsgeschenk" Preisbindungen aufgehoben haben, kostet das Kilogramm Fleisch statt umgerechnet rund 45 Schilling rund 90 Schilling. Auch Grundnahrungsmittel verteuerten sich drastisch, während die Menschen weiter nur etwa 420 Schilling (30,7 Euro) Pension oder 840 Schilling (61,4 Euro) bekommen.

Ohne spürbare Unterstützung könnte der Reformschwung schnell erlahmen. "Es wird hier ein langer, harter Kampf für ein besseres Leben", sagt der 30-jährige Miroslav in Belgrad. Er seine Frau warten seit zwei Jahren auf Ausreisevisa nach Kanada. "Nach dem Wechsel wird es für uns einfacher wegzugehen."

Zoran (25), ein Computerexperte, will ebenfalls ausreisen. Er hat eine Stelle in der Schweiz gefunden. "Ich bin froh, dass Milosevic gegangen ist. Aber ich traue hier keinem. Und ich weiß, so schnell wird sich nichts verbessern.