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"Die monatliche Beleidigung"

Von Brigitte Pechar

Politik
Pappkameraden statt der Sozialarbeiter, die wegen ihrer Arbeit nicht demonstrieren können.

12.000 Beschäftigte der Caritas fordern zumindest die Inflationsabgeltung.


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Wien. Zeit, Ausstattung, Personal. Es mangelt im weiten Feld der Pflege so ziemlich an allem. Heute, Freitag, gehen die Gehaltsverhandlungen für 12.000 Mitarbeiter der Caritas - hauptsächlich Frauen - in die geplante dritte Runde. "Die monatliche Beleidigung", nennt Michael Zehetner seinen Gehaltszettel. Der Altenhelfer arbeitet seit 28 Jahren in diesem Beruf - im Senioren- und Pflegewohnhaus der Caritas in Graz. Netto hat der Alleinverdiener und Vater zweier studierender Kinder am Monatsende 1700 Euro. Aber trotz seiner langjährigen Tätigkeit strahlt Zehetner Freude aus: "Gäbe es diese Arbeit nicht, hätte ich sie erfunden."

Das Angebot der Arbeitgeber - der Caritas ohne Vorarlberg und Tirol - lag zuletzt bei einer Erhöhung um 2,95 Prozent oder 2,56 Prozent plus 11,10 Euro. Für Stefan Kraker, Betriebsratsvorsitzender der Caritas Steiermark, der die Tarifverhandlungen für die Angestellten führt, ist das aber gegenüber den Beschäftigten nicht vertretbar. "Wir haben schon im Vorjahr mit einer Erhöhung um nur 2 Prozent weit unter der Inflationsrate abgeschlossen und einen Lohnverzicht geleistet", sagt er zur "Wiener Zeitung". Er fordert zumindest die Abgeltung der Inflationsrate 2011 von 3,5 Prozent. "Alles darunter sind Einkommensverluste für unsere Mitarbeiter."

Was dem Altenhelfer Zehetner besonders zu schaffen macht, ist der Zeitdruck. "Wir haben es in diesem Beruf ja nicht mit Maschinen zu tun, die man ein- und abschaltet. Wir müssen auf die Befindlichkeiten der Menschen eingehen. Wenn eine desorientierte Frau um Hilfe ruft, kann ich nicht einfach das Essen hinstellen und wieder gehen. Ich muss mit ihr reden und sie - zumindest in ihre - Realität zurückholen, ehe ich ihr Essen geben kann." Aber zwischenmenschliche Kontakte seien im Pflegebedarf, der von amtlichen Stellen festgelegt werde, nun einmal nicht vorgesehen.

"In der Realität ist es so, dass die engagierten Mitarbeiter früher kommen und später gehen", sagt Zehetner. "Das wird natürlich nicht bezahlt."

Dieser große Arbeitsdruck führt zu einer hohen Fluktuation. Er habe schon eine lange Reihe von Menschen gesehen, die engagiert begonnen hätten und nach einigen Jahren wieder ausgestiegen seien, sagt Zehetner. Aber er selbst wird das mit seinen 53 Jahren vermutlich nicht tun. "Es ist unglaublich erfüllend, Menschen, die am Ende des Lebens stehen, ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern", sagt er. Dennoch hofft und erwartet er, dass diese Tätigkeit von der Öffentlichkeit auch entsprechend gewürdigt wird. "Mit Nulllohnrunden wird man niemanden finden, der diese Arbeit mit Freude verrichtet."

Um die Kollektivvertragsverhandlungen der Caritas zu unterstützen, haben die Gewerkschaften GPA-djp und Vida zu einer Mahnwache vor der Caritas-Zentrale im 16. Wiener Bezirk aufgerufen, zu der 70 Betriebsräte ihr Kommen zugesagt haben. Während also draußen die Arbeitnehmervertreter - unterstützt durch Pappkameraden, die jene darstellen, die nicht kommen können, weil ansonsten Menschen nicht betreut werden können - auf die schwierige Gehaltssituation der Menschen in Pflegeberufen hinweisen, wird drinnen um ein höheres Einkommen gerungen.

Die Caritas weiß um das Dilemma, dass sie selbst eine Vertreterin der armutsgefährdeten und hilfsbedürftigen Menschen ist und dennoch bei ihren Mitarbeitern aufs Geld schauen muss. Argumentiert wird damit, dass die Bezahlung zum Großteil aus öffentlichen Mitteln erfolgt und sich daher die Gehaltsabschlüsse an jenen der öffentlich Bediensteten orientieren müssen. Und die Beamten haben mit 2,95 Prozent abgeschlossen.

Der durchschnittliche Caritasmitarbeiter ist zu 82 Prozent weiblich, 41 Jahre alt, für 27 Stunden (72 Prozent) beschäftigt und verdient 1535 Euro brutto.

Rund 525 Millionen Euro sind die Aufwendungen der Caritas im Inland. Davon kommen 57 Prozent von der öffentlichen Hand, 16 Prozent sind private Leistungen, 12 Prozent Subventionen, 10 Prozent kommen von Spenden und 5 Prozent von der Kirche.

Gerhard Reischl, Chefverhandler der Caritas, ist zuversichtlich, dass heute für beide Seiten ein akzeptables Ergebnis herauskommt. Denn seine Organisation bemühe sich, innerhalb der Sozialwirtschaft im Mittelfeld zu sein. "Die Forderung nach einem Brutto-Mindestlohn von 1300 Euro erfüllen wir seit Jahren", sagt Reischl.