Zum Hauptinhalt springen

Die Mücke, der Elefant und der steppende Bär

Von Simon Rosner

Kommentare

Die Euro ist auch ein internationales Treffen für Fußballfans, da denken nicht wenige gleich an Auseinandersetzungen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Kurz vor der Abfahrt nach Posen kommt eine Meldung über die Agenturen: In der Nacht auf Sonntag kam es im Zentrum Posens zu Reibereien zwischen Iren und Kroaten. Die Polizei schritt ein, räumte um drei Uhr Früh den alten Marktplatz der Stadt und nahm 14 Fans vorübergehend fest. Na, das kann ja was werden.

Auf dem Warschauer Bahnhof sitzen bereits einige irische Fans. Es ist erst knapp vor neun Uhr in der Früh, aber sie trinken schon. Und da fliegt auch schon der erste Sessel, es war ja zu erwarten. Ein paar Minuten später kommt es zum Unvermeidlichen, dem Aufeinandertreffen der Iren mit den Kroaten. Auch sie werden den Zug nach Posen besteigen. Beide Fangruppen in einem Zug? Eigentlich fahrlässig.

Auf dem Bahnsteig stürmen ein paar Iren gleich zu einem in den unverkennbaren rot-weißen Karos gehaltenem Trio. Ein Schrank in Grün nimmt gleich einmal zwei Kroaten in eine Art Schwitzkasten, auch der dritte Kroate entkommt nicht, er kann seinen Fan-Schal der irischen Gegenseite aushändigen.

In Posen angekommen warten auf dem Bahnhof schon weitere Iren. Sie sind klar in der Überzahl, die Kroaten sind chancenlos. Ein Kroate, der des Englischen mächtig ist, versucht es noch mit Reden, aber auch ihm wird der Schal von einem Iren abgenommen und triumphierend in die Luft gestreckt. Sein Freund hält das Ganze mit einer Kamera fest.

Im engen Zentrum von Posen werden sich alle wiedersehen, wo sonst sollen die Fans den ganzen Tag verbringen. Der alte Marktplatz kann nie voller gewesen sein, es ist fast kein Durchkommen. Kein Wunder, dass hier etwas passiert ist. Auf dem Rückweg vom Stadion ist ein irischer Fan immer noch ganz aufgeregt von dieser Nacht, nicht von der Partie. So eine Stimmung habe er noch nie erlebt, erzählt er. Das Beste, was er in dieser Hinsicht je erlebt habe. Und was ist mit den Ausschreitungen? "Keine Ahnung", sagt der Fan und ist verwundert. Er habe nichts davon mitbekommen, und um drei Uhr wäre der Platz auch nicht geräumt worden, denn er sei selbst bis fünf Uhr dort gewesen. Bis dahin hätten sie gemeinsam gefeiert, gesungen und getrunken, Iren und Kroaten.

Fußballfans haben nicht gerade den besten Ruf, und gerade in einer durch eine WM oder EM sensibilisierten Zeit wird schnell mal aus wenig sehr viel. Und so eine Meldung wie jene aus Posen lässt bei vielen Lesern und Leserinnen automatisch ein grauenvolles Bild im Kopf entstehen. Doch die Realität ist eine andere. Auch in dieser Reportage. Die Iren auf dem Bahnhof tranken Tee, der Sessel flog, da sich eine Flagge, die einem Fan als Cape diente, im Sessel verfangen hatte. Auf dem Bahnsteig kam es zu den bei solchen Anlässen üblichen Verbrüderungen. Der Ire legte seine Arme um die Schultern zweier Kroaten, gemeinsam freute man sich auf das bevorstehende Match. Fanutensilien wurden ausgetauscht, und sei es nur für ein Foto. Genauso schlägt es ja auch die Uefa mit ihrer Kampagne "Exchange your jerseys" vor. Im Stadtzentrum von Posen steppten Bear und Medvjed, und zwar miteinander. Die Fans sangen, plauderten, stießen gemeinsam an. Natürlich floss nicht wenig Bier. Dem einen oder anderen bekam es vielleicht nicht gut. Aber zumindest 99,5 Prozent stellten das Gemeinsame in den Vordergrund, und sei es die Flagge des Vatikans, die ein paar Iren mitbrachten. Doch Szenen der Verbrüderung schaffen es selten in die Agenturnachrichten.