Das Beispiel Deutschland zeigt, wie schwierig der Abschied von Gaslieferungen aus Russland ist.
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Trotz des langjährigen Ausbaus der erneuerbaren Energien sind die meisten Industrieländer der Welt immer noch auf fossile Energieträger angewiesen. Europas größter Gasverbraucher Deutschland etwa importiert fast 70 Prozent seiner Energieressourcen, wobei Russland derzeit der größte Lieferant von fossilen Energien ist. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat zu einem historischen Wendepunkt in der deutschen Energieversorgung geführt. Denn auch Deutschland ist nun bestrebt, seine Abhängigkeit von Energieeinfuhren aus Russland so schnell wie möglich zu verringern. Die jahrzehntelange energiepolitische Verbindung zwischen Deutschland und Russland, die auch in den heißesten Zeiten des Kalten Krieges Bestand hatte, soll in den kommenden Jahren gelockert werden. Eine Renaissance dieser Energiebeziehungen ist unter dem derzeitigen politischen Regime in Russland kaum vorstellbar.
Deutschland plant einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien, wird aber auch in Infrastrukturen für Flüssigerdgas (Liquefied Natural Gas - LNG) zur Diversifizierung der Gasversorgung, neue Gaskraftwerke, Stromnetze, Energieeffizienz von Gebäuden, Industrieprozessen und Mobilitätsdienstleistungen, CO2-arme Heiztechnologien wie elektrische Wärmepumpen, Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge, Stromspeichertechnologien und Infrastrukturen zur Herstellung, zum Transport und zur Nutzung von (grünem) Wasserstoff in energieintensiven Industrien investieren.
All diesen Zielen sind viele Grenzen gesetzt. Dazu zählen Kapazitäts- und Fachkräftemangel im Handwerk, im Baugewerbe und bei den Herstellern von Investitionsgütern, begrenzte finanzielle Mittel auf der Ebene der Verbraucher, der Unternehmen und des Staates, der Zeitaufwand für Planungs- und Genehmi-gungsverfahren oder lokale Widerstände gegen Windparks, neue Kraftwerke und/oder den Netzausbau.
Das kurzfristige Risiko, von den russischen Gas- und Öllieferungen abgeschnitten zu werden, ist im (industriellen) Wärmemarkt ausgeprägter und weniger schwerwiegend im Stromsektor. Während es sehr wahrscheinlich ist, dass die Gasversorgung bis Herbst 2022 gesichert ist, sind Engpässe für den nächsten Winter nicht auszuschließen. Die großen (politischen) Aufgaben auf kurze Sicht sind die Erhöhung der LNG-Importe auf europäischer Ebene, das Auffüllen der Gasspeicherkapazitäten über die Sommermonate und die Sicherung der Steinkohleversorgung. Wenn es dann im nächsten Winter zu physischen Engpässen bei Gas kommen sollte, könnten nachfrageseitige Maßnahmen ins Spiel kommen. Dazu gehört die planmäßige und geordnete Abschaltung von Industrieanlagen mit hohem Gasverbrauch. Der Verbrauch von Erdgas für Heizzwecke in privaten Haushalten würde gegenüber industriellen Anwendungen bevorzugt behandelt werden. Ein schnellerer Ausbau der erneuerbaren Energien ist eine Konsequenz aus der aktuellen Energiekrise, aber keine kurzfristige Lösung angesichts der begrenzten Möglichkeiten auf der Angebotsseite.
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