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Die Mühen der Verbindlichkeit

Von Ronald Schönhuber

Politik

Die großen Klimasünder haben sich vielleicht weniger bewegt als angenommen.


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Durban. Für viele in Durban war es wohl tatsächlich eine Erlösung. Nach zwei zusätzlich eingeschobenen Verhandlungsnächten einigten sich die Delegierten der Weltklimakonferenz am frühen Sonntagmorgen auf den Fahrplan für ein globales Klimaabkommen. Und die Mühen des 13-tägigen Gipfel-Marathons scheinen sich ausgezahlt zu haben: Nachdem die internationalen Klimaverhandlungen jahrelang von Stillstand und Verweigerung geprägt waren, sind mit China, Indien und den USA nun auch jene drei großen Treibhausgas-Emittenten mit an Bord, deren gegenseitige Blockadepolitik einen Fortschritt bisher verhindert hat. 2015 soll das neue, nun alle wichtigen Klimasünder umfassende Abkommen unterzeichnet werden, 2020 soll es in Kraft treten.

Entsprechend euphorisch wurde die Einigung in der südafrikanischen Hafenstadt von den anwesenden Politikern auch bewertet. Als "großen wegweisenden Erfolg für den globalen Klimaschutz" will etwa Deutschlands Umweltminister Norbert Röttgen das Verhandlungsergebnis sehen. Sein österreichischer Amtskollege Nikolaus Berlakovich sprach von einem "historischen Durchbruch".

Doch der Teufel - das zeigt sich einen Tag nach Gipfelende immer deutlicher - steckt im Detail. Beschlossen wurde in Durban laut der Abschlusserklärung nämlich "ein neues Protokoll, ein rechtliches Instrument oder vereinbartes Ergebnis mit Rechtskraft". Dass diese Begrifflichkeit einiges an Interpretationsspielraum offen lässt, musste auch Christiana Figueres, Chefin der UN-Klimarahmenkonvention, einräumen. "Was das heißt, muss in Zukunft noch entschieden werden", sagte die Costa-Ricanerin am Sonntagabend.

Alle sind zufrieden

Den Passus "vereinbartes Ergebnis mit Rechtskraft" hatte Indiens Umweltministerin Jayanthi Natarajan in den letzten Verhandlungsstunden gegen den Widerstand der EU in das Abschlussdokument hineinreklamiert. Die Europäer hatten sich gegen den neuen Begriff gewehrt, weil sie durch dessen geringere Verbindlichkeit eine Verwässerung des Abkommens sahen. Natarajan, die ebenso wie China auf den wirtschaftlichen Nachholbedarf ihres Landes pochte, stellte es hingegen als zusätzliche Ausgestaltungsmöglichkeit dar. "Was ist das Problem, eine Option mehr aufzunehmen?", fragte die indische Umweltministerin, die sich am Ende des Gipfels durchaus glücklich über dessen Ausgang gab.

Wobei in Durban jeder irgendwo gewonnen zu haben schien. Neben der EU, die mit Klimakommissarin Connie Hedegaard die treibende Kraft hinter der Erstellung des Fahrplans war, zeigte sich auch US-Chefverhandler Todd Stern zufrieden mit dem Verhandlungsergebnis. "Wir haben nun jene Symmetrie, auf die wir uns seit der Amtsübernahme von Präsident Obama konzentriert haben. Diese Einigung beinhaltet alle Elemente, die wir wollten", sagte Stern mit Blick auf China. Die USA und die Volksrepublik hatten sich als große Wirtschaftsmächte bei verbindlichen Emissionsreduktionszielen jahrelang gegenseitig belauert, ohne Zugeständnisse zu machen.

Dass alle ganz gut mit den Resultaten der Mammutkonferenz von Durban leben können, weckt allerdings die Skepsis von Klimaexperten. "In meiner Interpretation ist dieser Beschluss nicht mehr als die Feststellung, dass man bis 2015 zu einem Ergebnis kommen will", sagt der in Graz lehrende Ökonom Stefan Schleicher. "Ob sich das bis 2015 realisieren wird, ist noch sehr, sehr offen." Trotz der Einigung hatten etwa die Amerikaner in Durban ihr Misstrauen gegenüber weltweiten Klimaverträgen demonstriert. Nach Kräften unterstützt wurden sie dabei von Kanada, das noch in der laufenden Periode aus dem 2012 endenden Kyoto-Vertrag aussteigen will und keine zweite Verpflichtungsperiode mehr akzeptiert. Und auch mit einem wiedergewählten Barack Obama im Weißen Haus gibt es enormen Widerstand im Kongress; noch immer glauben viele Amerikaner nicht an eine Gefahr durch den Klimawandel. Damit scheint eine Entwicklung ähnlich wie beim Kyoto-Protokoll nicht ganz abwegig. Die USA haben zwar 1997 den bisher einzigen rechtsverbindlichen Klimavertrag mitbeschlossen, sind aber 2001 aus dem Ratifikationsprozess ausgestiegen.

Überhaupt waren die bisher errungen Klimakompromisse nicht unbedingt mit hoher Halbwertszeit gesegnet. Schon 2007 hatten sich die Delegierten beim Gipfel auf Bali "auf das Verhandlungsmandat für einen neuen Weltklimaschutzvertrag nach Auslaufen des Kyoto-Protokolls" geeinigt. Vier Jahre später wird in Durban nun mehr oder weniger dieselbe Botschaft ausgesandt. Gefahr sehen Klimaexperten aber nicht nur in möglichen Teil- oder Totalrückziehern. Sie fürchten auch, dass bis 2015 ein eher weiches Abkommen mit Ausnahmen für Länder wie China und Indien erarbeitet wird.

Vieles ist bei Kyoto offen

Doch nicht nur bei der Ausgestaltung eines künftigen Klimaabkommens ist in Durban einiges offen geblieben. Unklar ist auch noch, wie die zweite Verpflichtungsperiode des Kyoto-Protokolls ablaufen soll, die die EU als Gegenleistung für das Klimaabkommen im Jahr 2015 angeboten hat. Die Verlängerung, die bis 2017 gehen soll, muss laut EU-Juristen noch in die Verträge der Union integriert werden. Schleicher zufolge dürfte für die zweite Periode jene 20-prozentige Emissionsreduktion adaptiert werden, die die EU ohnehin bis 2020 erreichen will. Harte Verhandlungen mit weiteren Ländern dürfte es dabei nicht geben, da der Kyoto-Klub nach dem angekündigten Ausstieg von Kanada, Japan und Russland mittlerweile auf Europa zusammengeschrumpft ist.

Vage blieb in Durban zudem der bereits 2010 in Cancun beschlossene Green Climate Funds, mit dem die armen Länder bei der Anpassung an den Klimawandel unterstützt werden sollen. Der Fonds, der ab 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar zur Verfügung stellen soll, bekam zwar ein strukturelles und organisatorisches Gerüst, woher das Geld kommen soll, konnte allerdings nicht beantwortet werden.

Fortschritte sollen in dieser Hinsicht nun in Katar erzielt werden, wo 2012 der nächste Weltklimagipfel stattfindet. Der Austragungsort geht allerdings nicht unbedingt mit bestem Beispiel voran. Mit einem jährlichen Ausstoß von 40,12 Tonnen CO2 liegt der kleine Golfstaat bei den Pro-Kopf-Werten weltweit an der Spitze.