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Die Mühsal des wirklich synchronen Musizierens

Von Heiner Boberski

Wissen

Britische Forscher analysierten, wie das Zusammenspiel von Streichquartetten funktioniert. | Musikensembles folgen nicht nur autoritären Mustern - auch demokratischen.


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Wien. Dass gute Musiker auch ohne Dirigenten glänzend zusammenspielen können, hat das Neujahrskonzert 2014 deutlich vor Augen geführt. Daniel Barenboim spazierte während des Radetzkymarsches Hände schüttelnd durch die Reihen der Wiener Philharmoniker. Während für große Orchester das Musizieren ohne Dirigent die Ausnahme darstellt, gehört es für kleine Ensembles zum Alltag - etwa für Streichquartette.

Die klassischen vier Instrumente, die dabei zum Einsatz kommen - zwei Geigen, eine Bratsche und ein Cello -, müssen das richtige Timing finden, um gemeinsam harmonischen Wohlklang zu erzeugen. Minimale Abweichungen im Tempo müssen während des Zusammenspiels immer wieder korrigiert werden - und das ohne ausgewiesenen "Leithammel". Wie Musiker das machen, haben nun Forscher um Alan Wing von der britischen Universität Birmingham mit einer aus der Finanzanalyse entlehnten Methode untersucht und im "Journal of the Royal Society Interface" beschrieben.

Lebendige Musik ist von der individuellen Interpretation geprägt, kleine Eigenheiten machen das Musizieren der Künstler unverwechselbar. "Im Allgemeinen timen Musiker die Tonanfänge daher nie exakt so, wie es in der Partitur steht", erklären die Forscher. Für ihre Studie ließen sie zwei international renommierte Streichquartette ungeprobt einen 48 Noten langen Ausschnitt aus Joseph Haydns Streichquartett Opus 74 Nummer 1 spielen, eine Passage, in der alle Instrumente dem gleichen Rhythmus folgen und sehr darauf achten müssen, um nicht hörbar asynchron zu werden. Jedes Quartett sollte diese Passage 15 Mal hintereinander spielen und dabei alle Freiheiten der Interpretation nutzen. Das Spiel jedes einzelnen Musikers wurde mit einem eigenen Mikrofon aufgezeichnet und dann analysiert, wie stark und wann er sein Tempo an das Spiel seiner Kollegen anpasste. Die Analyse ergab, dass Musiker unbewusst ihr Spiel ab einem bestimmten Grad der Abweichung synchronisieren, das heißt, sie spielen den nächsten Ton gerade so viel länger oder kürzer, dass sich minimale Dissonanzen nicht weiter aufschaukeln können. Das genaue Timing dieser Ausgleichsmaßnahmen entspricht dabei ziemlich genau dem in theoretischen Modellen ermittelten Idealwert für eine Vierergruppe.

Unterschiedliche Strategien

Auffallend war, dass die beiden Quartette unterschiedliche Strategien der Anpassung verfolgten. Im einen herrschte eine in der Kammermusik häufig übliche klare Hierarchie: Die erste Geige gab als Autorität den Ton an und behielt ihr Tempo bei, während die die anderen Instrumente sich ihr immer wieder anpassten. Im zweiten Quartett regierte dagegen gleichberechtigtes Teamwork. Die erste Geige korrigierte ihr Tempo etwa gleich oft und gleich stark wie ihre Mitspieler. "Dieses Ensemble folgt damit einem eher demokratischen Ansatz und sieht in dieser Musikpassage alle vier Stimmen als gleichberechtigt an", so die Forscher.

Welches Muster sich jeweils durchsetze, hänge von der Soziologie der Gruppe ab, meinte der Cellist Adrian Bradbury, Co-Autor der Studie. In beiden Gruppen hatte übrigens der Cellist die größten Probleme, synchron zu bleiben. "Das ist spannend, denn eigentlich gilt das Cello oft als rhythmisches Fundament eines kleinen Ensembles", konstatierten Wing und seine Kollegen.