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Die mühsame Beteiligung der Bürger

Von Matthias Winterer

Politik
Ein Haus mit Werkstätten und eine Rutsche ins Grüne: Steyrer kämpfen um ihren Freiraum in der Stadt.
© J. Kerviel

Im oberösterreichischen Steyr versucht eine Bürgerinitiative, die festgefahrene Planungsstruktur der Stadt aufzubrechen. Sie kämpft um Mitsprache über das letzte unverbaute Ufer der Steyr im Stadtkern - mit Video.


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Steyr. Die Städte wachsen. Immer mehr Menschen strömen in die Ballungsräume Europas. Mit ihnen ist ein heißer Kampf um die letzten Freiräume der Stadt entbrannt. In Hamburg gingen Tausende gegen den Abriss und Verkauf des historischen Gängeviertels an einen Investor auf die Straße. In Berlin vereitelten Proteste die Privatisierung des ehemaligen Flughafens Tempelhof. Auch in Wien stemmen sich Bürgerinitiativen gegen die Verbauung des Donaukanals und die kommerzielle Nutzung der Kaiserwiese im Prater. Doch nicht nur in den großen Metropolen rücken Aktivisten zum Schutz öffentlicher Flächen aus. Auch in Steyr - der drittgrößten Stadt Oberösterreichs - wird darum gerungen.

Kreativer Freiraum

Die Steyr zerschneidet von West nach Ost die gleichnamige Stadt. Bevor der Fluss in die Enns mündet und mit ihr nach Norden abbiegt, wälzt er sich an den mittelalterlichen Fassaden und pittoresken Mühlen des sogenannten Wehrgrabens vorbei. Dazwischen klafft ein idyllisches Loch. Das Ufer fällt zum Wasser flach ab, gesäumt von Sträuchern und Bäumen. Bis in die 1970er stand hier ein Gaswerk, heute geht man hier spazieren. Kinder klettern auf die Bäume am Ufer, Anrainer stellen ihre Autos kostenlos ab. Vor 20 Jahren sprach der Magistrat einer Gruppe junger Aktivisten die Nutzung der letzten verbliebenen Gebäude auf dem Gelände als Prekarium zu. Sie richteten sich Werkstätten ein, begannen zu tischlern, nähen und schmieden. Das Gelände entwickelte sich zum kreativen Freiraum inmitten der Stadt, einer Fläche die von allen Bürgern frei genutzt wird.

© Wiener Zeitung Online

Doch dies könnte nun ein Ende haben, denn die Fachhochschule Oberösterreich Immobilien Gmbh will an diesem Standort einen Neubau errichten. Schon seit zehn Jahren ist eine mögliche dritte Ausdehnung des FH-Campus aufs benachbarte Areal des früheren Gaswerks im Gespräch. Sie soll nun umgesetzt werden. Mehr wissen die Steyrer selbst auch nicht, sowohl Stadtregierung als auch FH OÖ Immobilien GmbH zeigen sich schweigsam.

Die Angst vor der Ungewissheit

Genau diese Schweigsamkeit ist es, die die Bewohner des Wehrgrabens verunsichert. Sie haben Angst vor dem Verlust von Lebensqualität, Grünfläche und Freiraum. "Die Vorgehensweise der Stadt ist alles andere als modern oder partizipativ", sagt Helene, die in einem angrenzendem Haus wohnt. "Wir haben keine Ahnung, was genau hier gebaut werden soll." Auch Klaus Schnopfhagen ist Anrainer. Er hat mit anderen Aktivisten die Initiative Wehrgraben begründet um die "altbackene Kultur der Stadtplanung, die in Steyr vorherrscht" aufzubrechen. Die Initiative habe sich vor allem deshalb formiert, weil die Pläne für die Erweiterung der FH nicht öffentlich einsehbar sind. "Schon vor zehn Jahren hat man uns zugesagt, dass wir als Anrainer und Wehrgraben-Bewohner in die Planungen mit eingebunden werden", sagt Schnopfhagen. "Wir sind nicht grundsätzlich gegen einen Neubau, nur würden wir gerne mitreden oder zumindest rechtzeitig informiert werden." Am 8. Juni wird die Fachhochschule die Pläne einem Gestaltungsbeirat aus drei unabhängigen Architekten präsentieren. Die Initiative Wehrgraben sieht sich vor vollendete Tatsachen gestellt.

Baustadtrat Markus Spöck beschwichtigt gegenüber der "Wiener Zeitung". Die Vorschläge der Fachhochschule würden den schwierigen Voraussetzungen des Wehrgrabens entsprechen. Das Gebäude müsse auf Stelzen gestellt werden, um am Ufer der Steyr vor Hochwasser geschützt zu sein. Das Erdgeschoß könne so als Parkraum genutzt werden. Hin zur Steyr sei ein breiterer Streifen Grünraum vorgesehen. Den Vorwurf, die Bürger auszugrenzen, lässt Spöck so nicht gelten. Die Pläne seien lediglich Entwürfe, auf deren Basis der Gestaltungsbeirat prüft, ob eine Bebauung des Areals durch die Fachhochschule überhaupt möglich sei. "Erachtet der Beirat die Vorhaben für durchführbar und sinnvoll, wird die Bevölkerung selbstverständlich mit einbezogen", sagt Spöck.

Je früher, desto besser

Für Christoph Laimer passiert dies eindeutig zu spät. Der Herausgeber der Zeitschrift für Stadtforschung "dérive" beschäftigt sich seit Jahren mit partizipativen Planungsprozessen. "Die Menschen, die hier leben, müssen so früh wie möglich in ein Projekt dieser Art eingegliedert werden, um wirkliche Partizipation zu gewährleisten", sagt er. "Je später der Zeitpunkt, desto weniger sind sie tatsächlich beteiligt. Es reicht nicht, den Menschen entscheiden zu lassen, welche Farbe eine Außenwand haben soll, um von gleichberechtigter, öffentlicher Partizipation zu sprechen."

Unter dem Motto "Stadtentwicklung braucht Mitsprache" lud die Initiative Wehrgraben Ende Mai zu einer Diskussionsveranstaltung mit Experten und Anrainern. Einmal mehr wurde sichtbar, dass die fehlende Transparenz in der Stadtplanung den Bürgern vor den Kopf stößt. Der Tenor unter den Anwesenden ging klar in eine Richtung: Ein weiteres FH-Gebäude im sensiblen Wehrgraben stößt großteils auf Ablehnung. "In anderen Städten schützt man Grünräume, in Steyr will man sie zerstören", schaltete sich eine aufgebrachte Dame in die Gesprächsrunde ein. Die Bürger haben sich eigene Gedanken über das Areal gemacht. Ideen gibt es reichlich. Vom Park über eine wild wachsende Wiese oder Parkplätze bis hin zu einem Zentrum für Handwerk können sich die Steyrer vieles vorstellen.

Diese Anregungen will die Initiative nun sammeln und ebenso dem Gestaltungsbeirat vorlegen. Denn wenn sie schon nicht zur Mitbestimmung eingeladen wird, will sie sich wenigstens ihre Mitsprache erkämpfen. Schließlich geht es um den Charakter ihres Wehrgrabens, um das letzte Stück Freiraum inmitten der Stadt.

Fachhochschule Steyr

www.wehrgraben.at