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Fotografieren, filmen, teilen. Ein Klick genügt. Auch zum herzhaften Retweeten und Teilen. Der mediale Schneeball ist losgetreten. Der Kick der schnellen Klicks macht süchtig. Reflexion ist in dieser virtuellen Echtzeit-Gleichung nicht vorgesehen.
Was sich auf den geteilten Bildern befindet und ob es pietätvoll ist, sie zu verbreiten, diese Fragen stellen sich in Sozialen Medien kaum. Bei der Todesfahrt in Nizza tauchten noch in der Nacht Fotos und Videos im Netz auf: vom zur Waffe umfunktionierten LKW, panischen Menschen und - versehrten Körpern von Opfern. Der Menschenverstand sprang erst verzögert an, als sich die empörten Aufforderungen häuften, das Teilen von Bildern toter Menschen zu unterlassen. Das Korrektiv der Masse ist träge. Und greift nicht immer. Ein heimisches Boulevardmedium schmückt sich online mit spärlich gepixelten "schlimmsten Bildern der Terrornacht".
Wie man sich in so einer Situation auch verhalten kann, zeigte der in Nizza urlaubende Journalist Richard Gutjahr. Er dokumentierte das Geschehen zwar auch, stellte das Material jedoch nicht ins Netz, sondern übergab es einer deutschen Nachrichtenredaktion. Die prüfte, filterte und erstellten eine Version, die die Balance hielt aus Respekt vor den Opfern und einem Blick auf die Horrorfahrt.
Die Sensationsgier des Menschen, auch nach blutigen Bildern, kennt kaum Grenzen. Schon gar nicht im grenzenlosen Internet. Bei aller Bereicherung durch Neue Medien und der Freude darüber, dass die technischen Möglichkeiten theoretisch jeden zum Reporter machen: Qualitätsvollen Journalismus braucht es gerade deshalb dringender denn je zuvor.