Zwischen säkularem und religiösem Feminismus schwanken die Ansätze.
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Wien. Die Debatte bewegt sich mittlerweile auf heiß umkämpftem Terrain: Viele wollen zum Thema Frauen im Islam etwas sagen, jeder hat schon einmal was über körperliche Züchtigung und Polygamie im Koran gehört. Zwischen Populismus und dem Zögern vor Kritik aus Angst vor Intoleranzvorwürfen scheint die Debatte zu schwanken. Jenseits der Extreme versucht sich seit März die Vortragsreihe "Frauen im Islam" zu bewegen. "Mir war es wichtig, verschiedene Perspektiven zu zeigen. Ich wollte vor allem muslimische Frauen selbst zu Wort kommen lassen," sagt Puja Khoschsorur, Gründer des Vereins "Donja - Verein zur Förderung der Menschenrechte" (www.ledonja.org), der die sechsteilige Reihe organisiert.
In ihren Problemdiagnosen weichen die Vortragenden merklich voneinander ab. Nicht alle sehen in der Religion die Wurzel des Problems. Für Carla Baghajati, frühere Sprecherin der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ), enthält der Islam gerade die Möglichkeit für eine Gleichstellung von Mann und Frau: "Der Islam ist nicht das Problem, sondern Teil der Lösung. Das ist für den Westen oft fremd." Die Frau sei dem Mann im Koran grundsätzlich gleichgestellt.
Frauenrechtsverletzungen in islamischen Ländern führt Baghajati vor allem auf frühere Interpretationen des Koran zurück, die Geschlechterhierarchien erzeugt haben: "In der Frühzeit des Islam durfte eine Frau nicht ohne Schutz eines Mannes reisen. Damals war das eine Sicherheitsfrage, das kann man aber nicht auf heute übertragen." Auch ungleiche vermögensrechtliche Bestimmungen im Koran seien im Zusammenhang mit der Ernährerrolle des Mannes zur Entstehungszeit des Korans zu sehen, die nun aus Angst des Mannes vor der Unabhängigkeit der Frau weiterleben.
Für die Rechtsanwältin und Autorin Seyran Ates greifen solche Erklärungen zu kurz. Die Wurzel liege nicht nur in Fehlinterpretationen. Nur eine grundlegende Reform des Islam könne eine Gleichberechtigung der Geschlechter bringen: "Damit meine ich, dass sich die Religionsgemeinschaft der Muslime darüber einig sein muss, dass man sich von gewissen Teilen des Korans verabschieden muss. Dazu gehört, dass frauenfeindliche Verse heute nicht mehr gelten dürfen." Dies betreffe vor allem Koransuren, die ins Familien-, Erb- und Strafrecht miteinfließen.
Ates kritisiert etwa den Vers 4:3, der Polygamie in bestimmten Fällen erlaubt: "Und wenn ihr fürchtet, in Sachen der eurer Obhut anvertrauten weiblichen Waisen nicht recht zu tun, dann heiratet, was euch an Frauen gut ansteht, zwei, drei oder vier. Und wenn ihr fürchtet, nicht gerecht zu behandeln, dann nur eine, oder was ihr an Sklavinnen besitzt!" Diese Regelungen seien nicht mehr zeitgemäß und müssten modernisiert werden, sagt Ates. Ein anderer strittiger Punkt sei das Sorgerecht für Kinder nach der Scheidung: In den meisten muslimischen Ländern bleiben Kinder bis zu fünf oder sechs Jahren bei der Mutter, danach werden sie dem Vater übergeben.
IGGiÖ-Integrationsbeauftragte Amani Abuzahra will den Blick mehr auf die Realität lenken, in der nicht immer nur der Islam im Vordergrund steht: "Die muslimische Frau gibt es nicht, es ist eine heterogene Gruppe wie jede andere Gruppe auch. Dass ich Muslimin bin, ist in vielen Kontexten nicht wichtig für meine Identitätskonstruktion." Der Islam diene als Bezugssystem, die Lebensrealität sei aber immer abhängig von Bildungsgrad, Beruf und Familie: "In den Medien wird das sehr stark reduziert dargestellt. Die muslimische Frau wird entweder als Opfer, als Fundamentalistin, oder als idealisierte orientalische Frau gezeichnet."
Die Lage in Österreich ist Abuzahra zufolge stark von den Generationen abhängig: "Bei der ersten Generation gab es eine klassische Aufteilung: Die Frau ist zuhause, der Mann arbeitet. Bei der zweiten und dritten Generation brechen diese Rollenbilder auf." Die Zustände in muslimischen Vereinsstrukturen kritisiert Baghajati: Frauen seien oft nur für Frauenbereiche zuständig, generell wenig sichtbar und ihre Aufstiegschancen begrenzt.
Eine mehr politische Frage?
Ob das Thema "Frauen im Islam" überhaupt in diesem Rahmen diskutiert werden soll, stellt Nadje al-Ali, Genderprofessorin an der School of Oriental and African Studies in London, in Frage: "Frauen im Islam - was soll das heißen? Es ist nicht eine spezifische Religion oder Kultur verantwortlich. Der Begriff Islam wird oft mit dem der Kultur vermischt. Kultur ist aber nie statisch, sondern umkämpft und in ständiger Bewegung."
In ihrem Buch "Iraqi Women" zeichnet sie Lebensrealitäten irakischer Frauen der letzten 60 Jahre nach. In der ersten Dekade des Baath-Regimes, in den 60ern, wurde Gratis-Kinderbetreuung angeboten und sehr viel in Bildung für Mädchen investiert, sodass die Alphabetisierungsquote bei Frauen in kürzester Zeit enorm angestiegen ist. "Dieselbe Partei, die in den 60ern und 70ern Feminismus von staatlicher Seite gefördert hat, hat dann während des ersten Golfkrieges propagiert, dass gute Frauen zuhause bleiben und Kinder kriegen. Die Stellung der Frau ist keine Frage von Religion oder Kultur, sondern hat starke ökonomische und politische Gründe."
Ob und wie islamisches Recht nationale Familiengesetze und die Stellung der Frau beeinflusst, sei nicht zuletzt ebenfalls eine politische Frage: So wurde das für Frauen progressive säkulare irakische Familienrecht von 1959 nach dem Fall Husseins von der früheren Oppositionspartei als Gegenreaktion zum vorherigen Regime so abgeändert, dass dem Islam wieder mehr Einfluss eingeräumt wurde: Die Scharia wird als eine der Rechtsquellen angeführt, was sich für Frauen vor allem in den Bereichen Ehe, Scheidung und Sorgerecht negativ auswirken kann: "Das sind Backlash-Entwicklungen, die wir jetzt auch im Arabischen Frühling mitverfolgen können", meint Al-Ali.
An der Trennlinie säkular oder muslimisch verläuft das Spektrum an Meinungen der Reihe. Manche wollen über Geschlechtergleichheit außerhalb des Islam diskutieren, andere innerhalb. Die Linie trenne Frauenrechtsorganisationen in muslimischen Ländern generell: "Im Irak kann man verschiedene feministische Gruppen unterscheiden: parteizugehörig oder unabhängig, religiös oder säkular. Der größte Bruch verläuft aber zwischen säkularem und muslimischem Feminismus", erklärt Nadje al-Ali.
Wie schwierig es ist, Brücken zwischen den Standpunkten zu bauen, hat Puja Khoschsorur bei den Vorträgen selbst erlebt. Er wollte "übergreifend" Personen zur Diskussion anregen. "Das habe ich nicht wirklich geschafft." Viele kämen bei bestimmten Vortragenden nicht, um nicht mit ihrer Anwesenheit Sympathie zu signalisieren. Am Donnerstag, den 28. Juni wird Christina von Braun um 19 Uhr im Neuen Institutsgebäude über "Symbol, Bild, Geschlecht im Judentum, Christentum, Islam" reden.