US-Vorwahlen: Die Favoriten heißen Trump und Clinton.
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Washington. Der Spitzname könnte kaum besser gewählt sein. In den amerikanischen Medien firmiert das heute stattfindende Politspektakel seit Monaten nur mehr unter dem Akronym "SEC Primary". SEC, das steht für Southeastern Conference: die beste College-Football-Liga Amerikas, in der sich traditionell die meisten der künftigen NFL-Stars tummeln. American Football, eine der gesundheitsgefährdensten Sportarten, die die Welt kennt, ist kaum anderswo im Land populärer als im Süden und im Südosten der USA; und ebendort könnten heute irreversibel die Weichen dafür gestellt werden, wer bei der Präsidentschaftswahl im Herbst als Kandidat für die republikanische und wer für die demokratische Partei antreten darf. In einem Dutzend Bundesstaaten und einem sogenannten "Territory" finden an diesem Super Tuesday Vorwahlen statt.
Die Mehrheit davon liegen unterhalb der Mason-Dixon-Linie, die Nord und Süd trennt: Alabama, Arkansas, Georgia, Oklahoma, Tennessee, Texas und Virginia. Auf Seiten der Demokraten geht Hillary Clinton als klare Favoritin in den Wahltag. Gut möglich, dass Bernie Sanders schon morgen aus dem Rennen scheidet.
Ganz anders das Bild auf Seiten der Republikaner. Bei denen hat der Kampf um die Stimmen der Basis mittlerweile Formen angenommen, die teilweise über jedes erträgliche Maß hinausgeht: buchstäbliche Penis-Vergleiche, Unterstellungen von Inkontinenz und Verharmlosung des offen rassistischen Ku-Klux-Klans inklusive.
Unterstellungen von Inkontinenz bis Selbstbräuner
Nachdem der New Yorker Immobilienmagnat und Reality-TV-Star Donald Trump die ersten Vorwahlen in New Hampshire und South Carolina sowie Nevada klar gewonnen hat - nur beim Auftakt in Iowa war er hinter Ted Cruz auf Platz zwei gelandet - geht er zwar als Favorit in den Super Tuesday. Aber im Gegensatz zu bisher wird er von seinen beiden ersten Verfolgern und ihren Geldgebern nunmehr gnadenlos attackiert. Dabei hatte Tea-Party-Liebling Marco Rubio, nunmehr mangels aussichtsreicherer Alternativen zum Poster-Boy des Parteiestablishments aufgestiegener Senator von Florida, Trump bis vor kurzem noch ebenso ignoriert wie Cruz, der erzkonservative Senator aus Texas. Aber angesichts der Dynamik des bisherigen Verlaufs des Wahlkampfs haben jetzt beide jegliche Scheu über Bord geworfen. In ihren Angriffen haben sich beide dem Stil Trumps insofern angepasst, als sie mittlerweile auch nicht mehr vor persönlichen Untergriffen zurückschrecken. Einer öffentlichen TV-Debatte am vergangenen Donnerstag, wo Rubios und Cruz‘ neue Strategie erstmals offen zutage trat, folgten bis zur letzten Minute Attacken, die selbst für amerikanische Verhältnisse so ziemlich alles unterbieten, was an Niveau noch vorhanden ist: Da unterstellte Rubio Trump etwa, dass der 69-Jährige ein "professioneller Betrüger" sei; dass er aufgrund seines Alters mittlerweile Probleme habe, sein Wasser zu halten und sich dementsprechend während der Fernsehdebatte buchstäblich in die Hosen gemacht habe; dass die Größe von Trumps Händen auf die seines Glieds schließen lasse; dass er den hohen Bräunungsgrad seiner Haut nicht der Sonne, sondern einer Creme zu verdanken habe.
Wahlempfehlung vom - unbekannten - Ku Klux Klan
Nachdem Trump aber Trump ist, vergalt es der umgehend mit gleichem: Rubio sei ein "Lügner" - ein Label, das er bisher noch exklusiv für Cruz reserviert hatte - und man müsse Angst haben, dass er vor lauter Nervosität "in seinem eigenen Schweiß ertrinke". Eine Wahlempfehlung führender ehemaliger Mitglieder des Ku-Klux-Klans findet Trump dagegen unproblematisch, "weil ich nicht weiß, wer diese Leute sind. Ich kenne sie nicht." Inwieweit der ganze Wahnsinn Auswirkungen auf das Verhalten der republikanischen Wähler hat, wird sich heute im Laufe des Abends weisen. Als fix gilt bis dahin nur eines: Allen Umfragen zufolge hat Trump gute Chancen, in fast allen Bundesstaaten, die am Super Tuesday teilnehmen, zu gewinnen. Sollte er gar Ted Cruz in dessen Heimatstaat Texas schlagen, wäre zudem das Rennen um die Nominierung so gut wie gelaufen. Zwar noch nicht wahlarithmetisch -in diesem Zusammenhang wird es erst ab 15. März richtig interessant, wenn die Gewinner von so großen wie wichtigen Bundesstaaten wie Florida und Ohio feststehen -, aber definitiv, was das politische Narrativ angeht. Und das wiegt in der Regel um vieles schwerer als bloße Zahlenspiele. Angesichts des Status Quo - To Trump or not to Trump - scheint die einzige Frage zu lauten, die angesichts all dessen noch übrig bleibt: Wie konnte es soweit kommen? Ist die Hälfte der Grand Old Party (GOP) wirklich von einem Tag auf den anderen "dem totalen Irrsinn verfallen", wie es Lindsey Graham, Senator von South Carolina und selbst aus dem Rennen geschiedener Präsidentschaftskandidat dieser Tage und nur halb im Scherz formulierte?
Grenzen des Zulässigen werden seit Jahrzehnten gedehnt
Nein. Für Außenstehende herrscht einzig darüber Uneinigkeit, wie weit man in der Zeit zurück gehen muss, um zu verstehen, was sich da heute in der Partei abspielt, die mit der von Abraham Lincoln nur mehr den Namen gemeinsam hat. Fakt ist, dass die extremen Kräfte bei den Republikanern, die sie dieser Tage in der Person von Trump oder Cruz endgültig zu übernehmen drohen, in Wirklichkeit allesamt Kinder des Parteiestablishments sind. Von Ronald Reagan, der im Rahmen des Vorwahlkampfs 1979 als erster systematisch und gezielt auf den evangelikalen Block setzte, über die Neunziger, in denen Unterhaus-Sprecher Newt Gingrich mit seiner "konservativen Revolution" und seinem "Contract for America" um jeden Preis die Präsidentschaft Bill Clintons unterminieren wollte; über die bleiernen Bush-Jahre bis zu Barack Obama, der laut dem FBI im Vergleich mit seinen Vorgängern den absoluten Weltrekord in Sachen Morddrohungen gegen ihn und seine Familie hält. Tatsache ist, dass die Grenzen dessen, was in Sachen Rhetorik auf der politischen Bühne der USA als zulässig galt und gilt, im Laufe der vergangenen vier Jahrzehnte ganz im Sinn des äußersten rechten Rands erweitert wurden.
So setzte sich langsam aber sicher ein "Race to the Bottom" in Gang, das genau zu dem geführt hat, was wir jetzt erleben. Ganz zu schweigen von dem nicht zu unterschätzenden medialen Faktor, der erstmals im Jahr 1996 in Form von Fox News landesweit auf den Plan trat.
Rupert Murdochs Fox News machte die neue Art salonfähig
Der von Rupert Murdoch gegründete Kabelfernsehsender machte die glatten Lügen, Halb- und gefühlten Wahrheiten, die sich Millionen Amerikaner seit jeher selbst und gegenseitig erzählen - Leute, die für ihre Probleme alles, nur nicht sich selber, stattdessen, zum Beispiel, die Globalisierung verantwortlich machen -salonfähig. Was für eine Ironie: Ausgerechnet der einstige selbst ernannte "konservative Revolutionär" Newt Gingrich war es, der vergangene Woche Fox News im Interview vorwarf, "Donald Trump überhaupt erst erschaffen zu haben." Was er freilich unterschlug war, dass es ausnahmslos er und seine Kollegen aus dem Parteiestablishment waren, die sämtliche Kandidaten, die genau dasselbe sagen wie Trump, nur eben nicht ganz so drastisch, nicht nur hofierten, sondern sogar förderten. Und das besonders innerhalb der vergangenen acht Jahre. Fakt ist: Über die gesamte Präsidentschaft von Obama hinweg taten die Republikaner tagtäglich alles, um ihn zu diskreditieren und schreckten dabei vor nichts zurück - Drohungen, die Schuldendecke nicht mehr anzuheben und das Land und damit die Weltwirtschaft damit ins Chaos zu stürzen, inklusive.
Die Revolution frisst diesmal ihre Eltern
Über den Effekt, den diese Politik der totalen Obstruktion und des damit verbundenen latenten rassistischen Untertons langfristig auf ihre Basis haben könnte, hatte sich bis vor kurzem noch offenbar niemand wirklich Gedanken gemacht. Wenn Trump oder Cruz das Rennen um die Nominierung wirklich gewinnen sollten, darf sich deshalb kein einziger der Parteichefs beschweren: Sie ernsten mit ihnen nur das, was sie selbst gesät haben. Die Revolution droht diesmal nicht ihre Kinder, sondern ihre Eltern zu fressen.