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Die Mutti aller Spardiktate

Von Georg Friesenbichler

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Muss Merkel an ihrem europapolitischen Kurs etwas ändern? Sie hätte einigen Grund dazu, beweist ein Blick in die österreichische Geschichte.


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Sie hat Deutschland relativ unbeschadet durch die Finanzkrise geführt und ist eben deshalb triumphal im Amt bestätigt worden. "Mutti" hat’s gerichtet. Zumindest sehen das die Deutschen so. Im Süden Europas hingegen wird Angela Merkel eher als die Mutter aller Spardiktate gesehen und ihr deswegen auch gern einmal ein Hitlerbärtchen verpasst.

Nun stärkt ihr das heimatliche Votum einerseits auch in Europa den Rücken, andererseits könnte sie von ihrer bevormundenden Austeritätspolitik Abstriche machen müssen, falls ihr neuer Koalitionspartner bei der Kritik an Merkels Europakurs bleibt, die er als Oppositionspartei geübt hat. Sollten ihm Argumente gegen eine Sanierungspolitik fehlen, die ausschließlich auf Einsparungen und Kürzungen von Löhnen und Sozialleistungen setzt, sei ihm ein historischer Blick empfohlen - und zwar nach Österreich, genauer in jenes der Zwischenkriegszeit.

Es begann schon 1922, als die Hyperinflation mit einer Anleihe des Völkerbundes in Genf bekämpft werden sollte. Das brachte zwar den stabileren Schilling, aber auch radikale Sparmaßnahmen und den Abbau des Beamtenapparates. Und der Völkerbund, Vorläufer der heutigen UNO, behielt auch weiterhin die Kontrolle über die österreichischen Finanzen. Dabei trafen sich die Rezepte der Einflussnehmer von außen ganz mit den Interessen der heimischen bürgerlichen Elite in Politik und Industrie. Beiden war es ein Anliegen, den "revolutionären Schutt" wegzuräumen. Gemeint waren damit die sozialen Reformen, die die Sozialdemokraten während ihrer kurzen Regierungsbeteiligung von 1918 bis 1929 errungen hatten.

Die österreichische Wirtschaft konnte sich in Folge der Sanierung nie richtig erholen und geriet schließlich mit dem Zusammenbruch der Creditanstalt, des größten österreichischen, international engagierten Geldinstitutes, im Jahr 1931 endgültig ins Trudeln. Wieder musste der Völkerbund einspringen, und wieder war die Rettung der österreichischen Finanzen an strenge Sparauflagen gebunden - ohne gleichzeitig konjunkturbelebende Maßnahmen zu setzen.

An diesem (übrigens erfolglosen) Kurs beteiligt war ein niederländischer, zutiefst anti-demokratischer Völkerbund-Aufseher. Er war begeistert, als Engelbert Dollfuß die Arbeiterbewegung ausschaltete und den Ständestaat schuf, und wurde später Nazi-Anhänger. Von der Faschismus-Faszination, die den Kontinent damals erfasst hatte, sind die europäischen Führungen heute glücklicherweise weit entfernt. Allerdings tragen einige Aspekte der "Rettungsschirm"-Aktionen durchaus undemokratische Züge. Und in jedem Fall fördert der Sparzwang nicht gerade stabile politische Verhältnisse in Südeuropa.

Sollten die deutschen Sozialdemokraten - wahrscheinlichster Koalitionspartner der Union - zweifeln, ob sie die Linie Merkels korrigieren sollen, könnten sie gleichfalls aus den Fehlern ihrer österreichischen Schwesterpartei lernen: Trotz der enormen Arbeitslosigkeit stimmte sogar der Austromarxist Otto Bauer mit den Bürgerlichen darin überein, dass zuallererst die Staatsfinanzen saniert werden müssten.