Antimaterie-Forscher Michael Doser über die frustrierende Tatsache, dass Albert Einstein recht behält.
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Graz. Jeder Science-Fiction-Fan weiß, dass sich aus Antimaterie riesige Mengen an Energie gewinnen lassen. Mittels Warp-Antrieb reist die "Enterprise" mit Überlichtgeschwindigkeit durch die Galaxie. Vieles daran ist reine Fiktion, doch sie existiert, die Antimaterie - das rätselhafte Spiegelbild der Materie. Am Kernforschungszentrum Cern jagen Physiker Antiteilchen durch einen Beschleuniger, um deren Eigenschaften zu messen. Michael Doser, Sprecher des Aegis-Experiments am Cern, ist einer davon. Beim Fifteen Seconds Festival in Graz sprach der österreichische Physiker mit der "Wiener Zeitung" über die mysteriöse Anti-Welt.
"Wiener Zeitung": Nur etwa vier Prozent des Universums bestehen aus bekannter Materie. Was hat es mit der Antimaterie auf sich und was ist mit dem Rest?
Michael Doser: Die vier Prozent treten in zwei Formen auf: Materie und Antimaterie. Wie Bild und Spiegelbild mit vertauschten Vorzeichen. Elektronen, die negativ geladen sind, sind bei der Antimaterie positiv. Bei Protonen ist es umgekehrt. Man kann aus Antiprotonen und Antielektronen auch Atome bauen - etwa Antiwasserstoff. Aber das Licht, das ein Antiwasserstoff aussendet, und das Licht, das Wasserstoff aussendet, sind identisch. Der Rest sind Dunkle Materie und Dunkle Energie. Doch wissen wir nicht, was das ist. Dunkle Materie könnten auch Teilchen sein. Wenn, dann müsste es auch Anti-Dunkle-Materie-Teilchen geben. Dunkle Energie ist wieder ganz anders. Dennoch gibt es indirekte Hinweise auf ihre Existenz.
Wie ist Antimaterie nachweisbar?
Antimaterie entsteht regelmäßig und überall - auch in unserem Körper. Doch wird sie, sobald sie auf Materie trifft, sofort vernichtet. Denn in dem Moment, wo ein Antielektron auf ein Elektron stößt, zerstören sie sich gegenseitig. Es ist wie ein Tango de la muerte: Die Teilchen finden sich und begehen dabei einen tödlichen Handel. Sie kommen einander näher. Kaum berührt, vernichten sie sich gegenseitig. Dabei entstehen zwei Lichtblitze, die sich messen lassen.
Dennoch kann man sie herstellen?
Wir produzieren sie am Kernforschungszentrum Cern durch Kollisionen. Der Trick ist, dass man ein Teilchen auf ein anderes schießt. Ist die Energie hoch genug, dann entstehen ein Teilchen und Antiteilchen - etwa ein Proton und ein Antiproton. Da sie unterschiedliche Ladungen haben, kann ich sie in elektrischen Feldern auseinanderziehen. Die Antiteilchen werden in ein Vakuum gepackt. Solange sie sich dort befinden, bleiben sie bestehen.
Sie widmen sich am Cern einem Experiment namens Aegis, um im Besonderen die Schwerkraft von Antiteilchen zu messen. Wie ist das mit der Gravitation?
Aufgrund von dem, was wir wissen, sollten die Eigenschaften von Teilchen und Antiteilchen ident sein. Wir versuchen zu messen, ob das so ist. Doch es ist sehr schwierig, diese Teilchen fallen zu lassen. Sie sind sehr schnell. Um den Einfluss von Schwerkraft messen zu können, müssen wir sie verlangsamen. Dafür müssen sie sehr kalt sein. An der Kühlung arbeiten wir noch. Die zweite Sache ist die Menge. Wir können Tausende herstellen, aber nicht Milliarden. Gelingen uns diese zwei Schritte, können wir vielleicht in ein paar Jahren die allerersten Atome fallen lassen, um den Einfluss der Schwerkraft zu sehen.
Was ist schon bekannt?
Die elektrischen und magnetischen Eigenschaften kann man schon sehr gut messen. Bei Atomen erkennt man die Eigenschaften, indem man die Farbe von dem Licht misst, die sie aussenden. Dasselbe gilt für Antiatome. Im Fall von Wasserstoff ist die Messung schon auf einem Millionstel von einem Milliardstel genau. Man muss sich das wie eine Farbpalette mit einer Milliarde Stiften zwischen blau und rot vorstellen. Dann nimmt man einen Stift und teilt ihn in eine Million weiterer Schattierungen. Die Farbe von Wasserstoff ist dann genau eine davon. Im Fall von Antiwasserstoff ist man den Faktor 1000 schlechter. Das ist schon sehr präzise.
Welche Anwendungen sind möglich bzw. schon im Einsatz?
Der PET-Scan (Anm: Positronen-Emissions-Tomografie), eine Tumorbehandlung und die Positroniummikroskopie. Im Fall vom PET-Scan benutzt man Isotope, die Positronen - Antiteilchen - produzieren. Es ist wie ein Trojanisches Pferd, das in den Körper eingebracht wird und in dem Moment, wo es am richtigen Ort angelangt ist, ein Antielektron freilässt. Da dieses unmittelbar auf ein Elektron trifft, entstehen bei der Vernichtung Lichtblitze. Kann ich deren Ort messen, weiß ich, wo sich die Zelle befindet, bei der der Prozess stattgefunden hat. So lassen sich Tumorzellen nachweisen.
Eine weitere Anwendung könnte die Radiotherapie mit Antiprotonen - ähnlich der Krebsbehandlung am MedAustron - sein. Dort werden Protonen und Kohlenstoffkerne benützt. Man könnte auch Antiprotonen verwenden. Sie hätten den Vorteil, dass sie in den Zellen mehr Energie deponieren als Protonen oder Kohlenstoffkerne. Damit haben sie eine höhere Zerstörungskraft. Wodurch sich aber auch Nachteile ergeben. Ich will die Sache nicht schönreden, aber es wäre überlegbar, wenn wir billigere Methoden hätten, um Antiprotonen herzustellen. Dann könnte man in Simulationen berechnen, ob es sich für Patienten lohnt.
Zudem denken wir an ein Positroniummikroskop. Positronium ist das leichteste Atom, das man bauen kann. So lässt sich ein Werkzeug schaffen, um Materieoberflächen zu studieren - vor allem die Elektronenverteilung. Bis dorthin fehlen uns aber noch zwei Schritte. Zum einen muss das Positronium länger leben - das ist jüngst gelungen. Derzeit arbeiten wir an der Kühlung. Wenn wir das schaffen, werden wir den dritten Schritt angehen, um zu sehen, ob wir es auch wirklich fokussieren können, um genaue Strukturen zu sehen. Bis dahin wird es aber bestimmt noch zehn Jahre dauern.
Was bringt die Zukunft?
Ich bin überzeugt, dass wir in den nächsten fünf Jahren die Gravitation messen werden. Es wird ähnlich dem Antiwasserstoff eine kleine Industrie von Systemen geben, die immer ein bisschen, viel oder vollständig Antimaterie enthalten und bei allen wollen wir schauen, wie sie sich verhalten. Das ist quasi der rote Faden, der sich durch all unsere Messungen zieht. Parallel dazu wollen wir eine ganze Reihe an Messungen von Atomeigenschaften machen. Quasi Atomspektroskopie, aber mit sehr exotischen Systemen, um möglicherweise auf neue Wechselwirkungen zu stoßen. Es ist mehr ein Ökosystem an Ideen und Projekten. All diese brauchen aber noch technische Durchbrüche. Und finanzielle Mittel.
Was erwarten Sie bei der Gravitationsmessung? Bisher wurde Albert Einstein in allem bestätigt. Siehe Gravitationswellen oder jüngst das erste Bild vom Schwarzen Loch.
Ja, das ist frustrierend. Man hofft ja, in allen Bereichen etwas zu finden, das nicht einem Modell entspricht, das man schon kennt. Die Wahrscheinlichkeit, dass bei all den Experimenten etwas Unerwartetes herauskommt, ist sehr gering. Aber es ist doch irgendwie schön, wenn man sich an einer Herausforderung wie Einstein versuchen kann. Zudem werden durch die Nachweise immer wieder neue Techniken möglich. In ein paar Jahren werden wir etwa mit einem Schwarm von beobachtenden Satelliten die Gravitationswellen weiter studieren können. (Anm: Mit dem Projekt Lisa - Laser Interferometer Space Antenna - will die Europäische Weltraumagentur im All die Wellen erforschen.) Gleichzeitig wird das geplante Einsteinteleskop auf der Erde eine ungeheure Genauigkeit erreichen. Und wenn wir doch etwas Unerwartetes messen, kann das unser Weltbild vollkommen verändern.