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Die Nachfolger des IS stehen bereit

Von Ronald Schönhuber

Politik

Laut dem Terrorexperten Peter Neumann ist die dschihadistische Bewegung noch lange nicht am Ende.


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"Wiener Zeitung": Der Islamische Staat (IS) ist militärisch größtenteils besiegt. Werden wir jetzt, da dieses große Identifikationsmoment weg ist, weniger Terroranschläge erleben? Oder ist genau das Gegenteil der Fall?

Peter Neumann: Die Situation ist derzeit im Fluss, und niemand kann das so genau voraussagen. Auf der einen Seite setzt der Islamische Staat im Augenblick sehr stark auf Terroranschläge. Das war vor drei oder vier Jahren noch etwas anders. Da hat der IS gesagt: Kommt ins Kalifat und baut diese neue Gesellschaft mit uns auf. Auf der anderen Seite sehen wir natürlich schon, dass der IS eine Legitimationskrise hat und sehr viele Leute die kritische Frage stellen, wie es sein kann, dass dieses vermeintlich tausendjährige Reich schon nach drei Jahren besiegt ist. Und der Enthusiasmus ist nicht mehr so groß. In allen europäischen Ländern sind die Rekrutierungszahlen laut den dortigen Verfassungsschutzämtern zurückgegangen. Insofern weiß man also nicht genau, was mit dem Islamischen Staat als Organisation passieren wird. Aber die dschihadistische Bewegung, die Ideologie, die Leute, die sich dieser Bewegung angeschlossen haben und die jetzt auch über Netzwerke verfügen - sie alle existieren natürlich weiter. Und ich kann mir gut vorstellen, dass in den nächsten fünf Jahren neue Organisationen entstehen, die diese Leute dann aufnehmen und formen und den Kampf damit weitertragen.

Aber ohne die Ressourcen des IS dürfte es zumindest kurzfristig doch deutlich schwieriger werden, große Attentate durchzuführen.

Meine Meinung ist da ja ein bisschen unorthodox. Es gibt relativ wenig Belege dafür, dass der Islamische Staat Geld für Anschläge nach Europa geschickt hat. Er hat natürliche Leute dorthin geschickt, aber er hat diesen Leuten immer gesagt, ihr müsst euch eure Anschläge selbst finanzieren. Und wenn man sich die Anschläge in Europa seit 2014 anschaut, dann war der teuerste Anschlag jener in Paris, der 10.000 Euro gekostet hat. Viele der Anschläge haben hingegen weniger als tausend Euro gekostet, manche auch praktisch gar nichts. Wenn man etwa Nizza als Beispiel nimmt: Da musste sich der Attentäter lediglich einen Tag lang einen Lkw mieten. Und tatsächlich wurden die allermeisten Anschläge von den Terroristen selbst finanziert, entweder durch Geld, das gespart oder das durch Kleinkriminalität beschafft wurde. Wir müssen uns daher meiner Meinung nach viel stärker auf diese Themen konzentrieren.

Am Mittwoch und am Donnerstag findet in Paris eine große internationale Konferenz zum Thema Terrorismusfinanzierung statt, bei der Sie auch die Eröffnungsrede halten werden. Warum tut sich die internationale Gemeinschaft so schwer damit, Terroristen den Geldhahn abzudrehen?

Die Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung hat zwar auch Erfolge gehabt, aber im Großen und Ganzen hat sie versagt. Seit 2001 wurden 60 Millionen Dollar konfisziert, das sind weniger als drei Millionen Dollar im Jahr. Auf seinem Höhepunkt hatte der Islamische Staat hingegen ein jährliches Budget von mehreren Milliarden Dollar. Die 60 Millionen sind da also ein Tropfen auf den heißen Stein. Das Problem ist vor allem, dass das System falsch aufgestellt ist. Bei der Bekämpfung der Terrorfinanzierung wird sehr stark auf die Finanzministerien fokussiert, und diese fokussieren sehr stark auf das Bankensystem, weil sie das kennen und weil das unter ihrer Kontrolle ist. Aber Abu Bakr al-Bagdahdi hatte als IS-Anführer wahrscheinlich kein Bankkonto bei Goldman Sachs. Und auch sonst geht das meiste Geld, das von Terroristen eingenommen und ausgegeben wird, nicht über das internationale Finanzsystem. Das sind häufig sehr kleine Beträge, die oft aus der Kriminalität kommen. Und in den allermeisten Fällen handelt es sich dabei um Bargeld. Die bisher effektivste Maßnahme gegen die Terrorismusfinanzierung war daher ein Luftschlag der Amerikaner auf ein Cash-Depot des IS, bei dem 50 Millionen Dollar auf einen Schlag vernichtet wurden.

Aber nicht alles Geld stammt aus kriminellen Aktivitäten?

Wir müssen uns natürlich auch vor Augen halten, dass sich terroristische Organisationen in der Vergangenheit über Staaten in der Golf-Region und über relativ reichen Individuen in diesen Staaten finanziert haben. Da geht es nun natürlich um politischen und diplomatischen Druck auf diese Länder, damit das nicht weitergeht. Aber es sind hier auch einige Fortschritte gemacht worden, so hat Saudi-Arabien das stark eingeschränkt.

Wie groß ist die Gefahr durch islamistische Kämpfer, die nun von Syrien nach Europa zurückehren?

Viele sind ja bereits zurückgekehrt, und auch in Österreich sehen die Zahlen da nicht anders aus als in anderen europäischen Staaten. So geht man davon aus, dass ein Drittel der Kämpfer bereits zurück sind. Ungefähr 20 Prozent sind in Syrien und im Irak gestorben, und der Rest ist noch im Konfliktgebiet - entweder in Haft oder eben noch beim IS. Auch in den nächsten Jahren werden daher immer wieder Leute in ihre Heimatländer zurückkehren. Und das sind dann besonders problematische Fälle, weil diese Menschen - wenn man das etwas boulevardesk ausdrücken möchte - die Superterroristen sind. Denn das sind Leute, die ausgebildet wurden, die gekämpft haben und die sich brutalisiert haben. Hinzukommt, dass sie sich international vernetzt haben und wirklich Ansehen innerhalb der Szene genießen, weil sie in Syrien gekämpft haben. Diese Menschen können daher nicht nur Anschläge organisieren, sondern durch ihr Charisma auch wieder neue Gefolgsleute rekrutieren. Zudem wissen wir aus verschiedenen Studien, dass Anschläge, die von Rückkehrern durchgeführt wurden, professioneller und größer sind als Anschläge, die von irgendwelchen einsamen Wölfen verübt werden. Deswegen sollte dieses Thema auf Jahre hinweg noch eine Priorität sein.

Inwieweit haben die Sicherheitsbehörden und Geheimdienste in den vergangenen Jahren hier ihre Hausaufgaben gemacht? Sind wir heute weniger verwundbar als früher?

Es ist besser geworden. Man hat sich ab 2014 natürlich völlig auf dieses Thema konzentriert und weiß heute mehr darüber, welche Netzwerke und Strukturen existieren und wie miteinander kommunziert wird. Das hat dazu geführt, dass mehr Anschlagsversuche entdeckt wurden. In Frankreich gab es etwa letztes Jahr 30 versuchte Attacken, von denen keiner erfolgreich war. Aber es gibt nach wie vor noch große Defizite. So ist es in Europa nach wie vor so, dass die Behörden nicht nahtlos miteinander zusammenarbeiten und noch immer nicht alle Daten zu Gefährdern miteinander austauschen. Und das ist meiner Meinung nach ein großes Problem. Denn wenn man offene Grenzen im Schengen-Raum hat, muss man dafür sorgen, dass der österreichische Gefährder auch in Deutschland als solcher erkannt wird. Ich würde mir daher wünschen, dass zum Beispiel Österreich dieses Thema im Rahmen seiner EU-Ratspräsidentschaft zu einer Priorität macht. Denn alle stimmen hier eigentlich zu, doch es wird nichts gemacht, weil es niemand ganz oben auf die Agenda setzt. Wenn Kanzler Sebastian Kurz sich im Rahmen der EU-Präsidentschaft dafür einsetzt, wird das mehr Wirkung haben, als wenn es nur von irgendeinem Minister kommt.

Wie effektiv funktionieren De-Radikalisierungsprogramme eigentlich? Oder ist das bloß ein Strohhalm, an den sich die aufgeklärte westliche Welt klammert?

Man muss sich eingestehen, dass De-Radikalisierung nicht immer und nicht bei allen funktioniert. Sie können nicht jemanden, der absolut happy damit ist, Extremist zu sein, und der ein geschlossenes Weltbild hat, de-radikalisieren. Solche Programme funktionieren dann am besten, wenn die Betroffenen bereits Zweifel oder Fragen haben. Gute Ergebnisse gibt es daher aber vor allem bei Leuten, die sich noch nicht vollständig radikalisiert haben oder wenn jemand aus der Szene raus will.

Welche Rolle spielen soziale Medien? Sind die digitalen Hassprediger tatsächlich ein Problem oder wird das häufig überspielt?

Das hat sich stark geändert. 2014 war fast jeder Extremist auf Facebook und Twitter, also den Plattformen, die von allen benutzt werden. Heutzutage ist es dagegen schwer, auf Facebook einen aktiven Dschihadisten zu finden. Typischerweise wird ein solches Profil schon nach wenigen Stunden gelöscht. Deswegen nutzt ein Großteil der Szene mittlerweile Messaging-Dienste wie Telegram. Das hat Vor- und Nachteile. Der Vorteil ist, dass Dschihadisten hier ein deutlich kleineres Publikum haben und es schwieriger geworden ist, neue Leute anzuwerben. Der Nachteil ist, dass viele dieser Messaging-Dienste sehr stark verschlüsselt sind und die Sicherheitsdienste an diese Kommunikation daher nur sehr schwer herankommen.

Sind wir als Gesellschaft abgehärteter geworden? Haben wir gelernt, mit dem Terrorismus zu leben?

Ja, ich glaube schon. Diese Anschläge entfalten heute keine so große Wirkung mehr, bei jedem Mal gibt es ein bisschen weniger Berichterstattung. Das ist vielleicht insofern positiv, weil Terror ja das Ziel hat, Panik auszulösen. Auf der anderen Seite hat der IS natürlich bemerkt, dass er weniger Aufmerksamkeit bekommt. Er versucht daher nun, zu eskalieren. Etwa in dem Dinge gefunden werden, mit denen das Bisherige noch einmal gesteigert werden kann, damit diese Panik und das Chaos wieder zurückkommen.

Zum Dossier "IS-Terrormiliz"

Zum Dossier "Syrien - ein zerstörtes Land"