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Die nächste Mauer

Von Veronika Eschbacher

Politik

Angesichts der jüngsten Gewaltwelle trennt Israel arabische und jüdische Viertel in Ostjerusalem mit mobilen Wänden.


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Jerusalem/Wien. "Vorübergehende mobile Polizeiabsperrung" steht auf den Sockeln der Mauerteile, die über das Wochenende in Ostjerusalem aufgestellt wurden. Sie trennen das palästinensische Viertel Dschabal Mukaber vom jüdischen Viertel Armon Hanaziv. 2,50 Meter sind die Trennwände hoch - und insgesamt könnte die neue Sperranlage laut Kommunalverwaltung bis zu 300 Meter lang werden. Doch es soll nicht die einzige Sperranlage bleiben, die Israel angesichts der jüngsten Gewaltwelle errichtet: Auch das arabische Viertel Issawijeh soll eingezäunt und damit de facto zu einer Enklave in Jerusalem werden, berichtete der israelische Rundfunk am Montag.

Die Mauer solle verhindern, dass Palästinenser aus Issawijeh Steine und Brandflaschen auf Autos werfen, die auf einer naheliegenden Straße zwischen Jerusalem und der Siedlerstadt Maale Adumim unterwegs sind. Bereits seit Tagen werden Einfahrten zu arabischen Vierteln in Jerusalem mit großen, quadratischen Betonblöcken abgesperrt. Ein Sprecher des israelischen Außenministeriums betonte, es handle sich um reine Sicherheitsmaßnahmen und nicht um einen politischen Schritt.

Es sind nicht die ersten Mauern, die Israel in Jerusalem errichtet. Während die zweite Intifada tobte, die heute vor allem durch Anschläge auf israelische Busse und Restaurants in Erinnerung geblieben ist, beschloss die israelische Regierung im Jahr 2002 nach Forderungen aus der Bevölkerung, einen acht Meter hohen Sperrwall um die Stadt zu errichten. Geplant waren rund 700 Kilometer. Die Routenführung wurde mehrere Male geändert; ein Großteil davon ist errichtet. Mit dem Sperrwall sollte verhindert werden, dass Selbstmordattentäter aus dem Westjordanland in die Stadt eindringen. Mit der Zeit jedoch wurde klar, dass der Wall Anschläge nicht hintanhält. Auch deshalb war die endgültige Fertigstellung zuletzt nicht vorangetrieben worden.

"Kollektive Bestrafung"

Die neuen Sperren empfinden die arabischen Bewohner als großes Ärgernis. In sozialen Medien kursieren erste Berichte von angeblich tödlichen Folgen der Sperren. Als ihre Kinder Huda Darwisch, eine palästinensische Bewohnerin von Issawijeh, ins Krankenhaus bringen wollten, seien sie nicht mit dem Auto durchgelassen worden. Angeblich verstarb die Frau an ihrer schweren Asthmaattacke, weil sie nicht rechtzeitig medizinische Hilfe erhielt. Überprüft werden konnte diese Meldung, die auch einzelne arabische Medien brachten, nicht.

Die israelische Seite begründet die Absperrung der Viertel als Maßnahme, um die Sicherheit wiederherzustellen. 70 Prozent der Palästinenser, die seit Monatsbeginn vor allem israelische Soldaten, Polizisten und Siedler angriffen und acht von ihnen töteten, kamen aus dem Osten Jerusalems.

Junge Palästinenser zeigen sich ob der neuen Absperrungen nicht groß verwundert. "Das ist lediglich eine Weiterführung der alten Politik der kollektiven Bestrafung", sagt Ayed Athmavi, ein 28-jähriger Angestellter in Jerusalem. Er vermutet hinter den jetzigen Schritten einen größeren Plan: die palästinensische Bevölkerung aus der Stadt zu vertreiben, um eine jüdische Mehrheit sicherzustellen.

Israel hat ganz Jerusalem zur "ewigen und unteilbaren" Hauptstadt erklärt. Die Palästinenser beanspruchen dagegen den von Israel 1980 annektierten arabischen Ostteil Jerusalems als Hauptstadt eines künftigen eigenen Staates.

Dass die neuen Wände zwischen den arabischen und jüdischen Vierteln in der Tat nur "mobil" seien und somit nach Beruhigung der Lage wieder abgebaut werden, glaubt Athmavi nicht. "Das haben wir doch auch bisher schon beobachtet: Alle Änderungen auf dem Boden werden dazu genutzt, nachhaltig Fakten zu schaffen, wenn nicht international Druck auf Israel ausgeübt wird", sagt Athmavi.

Tödliche Verwechslung

Gleichzeitig wollen sich angesichts der Serie an Messerangriffen tausende von Israelis bewaffnen. Der israelische Armeesender berichtete am Montag von einem deutlichen Anstieg der Anträge für einen Waffenschein. Polizeiminister Gilad Erdan hatte angekündigt, er wolle den Prozess zum Erwerb eines Waffenscheins erleichtern und beschleunigen.

Das zuständige Ministerium für öffentliche Sicherheit sei allerdings nicht in der Lage, den vielen Anträgen nachzukommen, berichtete der Sender. Das Telefonzentrum der Behörde sei zusammengebrochen, daher könnten derzeit auch keine neuen Waffenscheine ausgestellt werden.

Erst am Sonntagabend hatte ein palästinensischer Attentäter den Busbahnhof in der südisraelischen Stadt Beershewa angegriffen und ein Blutbad angerichtet. Mit Schüssen aus einer Pistole tötete er einen israelischen Soldaten, griff sich dessen Gewehr und schoss im Bahnhofsgebäude um sich. Elf weitere Menschen wurden verletzt, unter ihnen vier Soldaten.

Sicherheitskräfte erschossen schließlich den Attentäter und trafen auch einen afrikanischen Gastarbeiter, den sie irrtümlich für einen Terroristen hielten, wie der israelische Rundfunk am Montag berichtete. Aufnahmen von Überwachungskameras zeigten, wie dutzende Passanten um den auf dem Boden liegenden Afrikaner stehen, ihn beschimpfen und Männer mehrfach dem Verletzten Fußtritte versetzen. Einmal wird er schwer am Kopf getroffen. Der Eritreer erlag am Montag im Krankenhaus seinen Verletzungen.

Ebenfalls für Bestürzung in der Öffentlichkeit sorgte die Reaktion der Rettungskräfte. Diese kümmerten sich, wie die Videos augenscheinlich belegen, zunächst um die vielen weiteren Verletzten, aber nicht um den Eritreer. Die Polizei teilte mit, sie wolle die Beteiligten an den Misshandlungen ermitteln und strafrechtlich verfolgen. "Wir nehmen diesen Vorfall sehr ernst und werden niemandem erlauben, das Gesetz in die eigene Hand zu nehmen", hieß es in einer Pressemitteilung. Der Vorfall befeuert auch die Ängste der Palästinenser, sie könnten in der angespannten Situation unschuldig Opfer willkürlicher Gewalt werden.