Zustimmung im Senat, aber kritische Entscheidungen abermals aufgeschoben.
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Washington. Die USA sind tatsächlich über die Fiskalklippe gestürzt. Die neue Frage lautet: Geht jetzt der Fallschirm noch rechtzeitig auf, um einen harten Aufprall der Wirtschaft zu verhindern oder zumindest abzufedern?
Es war eine hochdramatische Silvesternacht und ein nicht minder spannender Neujahrstag auf dem Kapitolhügel in Washington. Rein formal betrachtet haben es die Kongressparteien nicht geschafft, noch rechtzeitig vor Jahresende einen Kompromiss zu beschließen. Somit sind seit Dienstag automatische Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen von bis zu 600 Milliarden Dollar in Kraft getreten - in Summe ist das genug, um das erwartete Wachstum von rund 2 Prozent auszuradieren und die US-Wirtschaft stattdessen mit einem Minus von 0,5 Prozent in die Rezession zu stürzen: der gefürchtete Sturz über die Fiskalklippe.
Allerdings werden diese Effekte nicht sofort schlagend. Es bleibt also eine Nachfrist zur Reparatur. Im Laufe des 31. Dezembers hatte es Gerüchte über eine nahende Einigung gegeben - was die Finanzmärkte vorsorglich jubeln ließ.
Dann wurde es aber doch noch eng und erst gegen zwei Uhr nachts (und somit eigentlich zu spät) kam die Eilmeldung: Der Senat hat einen Kompromiss, mit dem die Klippe vermieden werden soll, mit einer parteiübergreifenden Mehrheit beschlossen. Die Chance auf eine sanfte Landung lebt somit noch. Zwar ist der Schaden für die US-Volkswirtschaft schon jetzt groß, betonen Experten: Wegen der Ungewissheit haben die Unternehmen größere Investitionen auf die lange Bank geschoben, die Konsumenten sind vorsichtiger geworden.
Die wirklich schwerwiegenden Einkommensausfälle für die US-Bevölkerung, welche den Konsum abwürgen würden, wären aber erst in einigen Monaten spürbar. Deshalb kann der Absturz rückwirkend noch gemildert werden.
Genau das will der Gesetzesentwurf erreichen, den der Senat in der Silvesternacht mit einer beachtlichen Mehrheit von 89 zu 8 Stimmen befürwortet hat: Eine Steueranhebung für große Bevölkerungsteile wird damit verhindert und die Gefahr eines radikalen Kahlschlags bei den Staatsausgaben ist zumindest vorerst gebannt (siehe Wissen).
Ob Repräsentantenhaus zustimmt, ist ungewiss
Endgültig gelöst ist damit allerdings noch gar nichts. Ein erstes großes Fragezeichen ist das Verhalten des Repräsentantenhauses. Dort haben nämlich - anders als im Senat - nicht die Demokraten die Oberhand, sondern die Republikaner. Das heißt, Obamas Partei muss zumindest 30 der republikanischen Abgeordneten auf ihre Seite ziehen.
Und das wird schwer genug. Bisher waren diese nämlich nicht gewillt, dem Präsidenten auch nur einen minimalen Teilerfolg zu gönnen. Nicht nur das: Sie hatten sogar ihrem eigenen Chefverhandler John Boehner, dem Sprecher des Repräsentantenhauses, eine empfindliche Abfuhr beschert, als dieser kurz vor Weihnachten über einen "Plan B" abstimmen wollte. Dieser enthielt minimale Zugeständnisse an demokratische Positionen, war aber eigentlich dazu gedacht, die Verhandlungsposition der Republikaner zu stärken. Bei den konservativen Abgeordneten gab es allerdings auch dafür keine Mehrheit, Boehner musste seinen "Plan B" peinlicherweise zurücknehmen.
Wie die Abstimmung über den neuen Senatsvorschlag im Repräsentantenhaus ausgehen würde, stand deshalb in den Sternen: Die Debatte über den Kompromissvorschlag sollte noch am Dienstagabend beginnen. Für die Abstimmung lag allerdings noch kein Zeitplan vor - womöglich werde es erst am 2. oder 3. Jänner zu einem Votum kommen, hieß es. Denkbar wäre, dass die republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus den Gesetzesentwurf mit Änderungswünschen zurück in den Senat schickt. Dort müsste neuerlich abgestimmt werden.
"Wir haben noch keine Entscheidung getroffen", sagte Eric Cantor, der republikanische Mehrheitsführer des Repräsentantenhauses, am Dienstag nach einer Besprechung mit Boehner zu Reuters. Ob die Kammer das Fiskalklippen-Gesetz passieren lässt, wird sich aber "in Bälde entscheiden. Womöglich noch im Verlauf des Tages."
US-Präsident Barack Obama rief das Repräsentantenhaus jedenfalls dazu auf, das Gesetzesvorhaben ohne Verzögerung zu beschließen: "Während weder Demokraten noch Republikaner alles bekommen haben, was sie wollten, ist diese Übereinkunft das Richtige für unser Land, und das Repräsentantenhaus sollte sie ohne Aufschub verabschieden", erklärte er nach der positiven Abstimmung im Senat.
Der vereinbarte Plan schütze 98 Prozent der US-Amerikaner und 97 Prozent der Geschäftsinhaber vor einer Steuererhöhung. Um das enorme Budgetdefizit zu reduzieren, sei aber noch viel zu tun, fügte Obama hinzu. Die Vereinbarung stelle allerdings sicher, dass dies durch eine "Kombination von Ausgabenreduzierungen und Einnahmensteigerungen" geschehe.
Es war allerdings der Präsident selbst, der noch in der Silvesternacht für böses Blut gesorgt und damit eine Einigung gefährdet hatte. Anstatt staatstragend die Wichtigkeit eines überparteilichen Senatsbeschlusses herauszustreichen, konnte er sich einen Seitenhieb nicht verkneifen. "Erinnern Sie sich daran, dass die Republikaner im Kongress noch vor einem Monat gesagt haben, sie würden höheren Steuern für die reichsten Amerikaner niemals zustimmen. Offensichtlich würde die jetzige Einigung genau diese Steuersätze anheben - und zwar dauerhaft", hatte sich Obama noch vor der Abstimmung mit dem Verhandlungserfolg seiner Demokraten gebrüstet.
Obama bleibt auf Kooperation angewiesen
Tatsächlich steht der Senatsbeschluss auf dem ersten Blick den demokratischen Positionen näher. Viele Republikaner haben nämlich einen feierlichen Eid geleistet, keiner Steuererhöhung zuzustimmen - insbesondere Dutzende Abgeordnete, die der radikalen Tea-Party-Bewegung angehören. Mit dem Ablauf der Frist zu Jahresende gerieten die Republikaner aber zusehends unter Druck: Ohne Einigung wären die Steuern für große Teile der Bevölkerung automatisch angehoben worden. Dafür wollte die "Grand Old Party" auf keinen Fall den Schwarzen Peter zugeschoben bekommen.
Da schien es den Senatoren offenkundig das geringere Übel, den von den Demokraten verlangten Steueranhebungen für die wohlhabendsten Bürger zuzustimmen. Bis zuletzt wurde dabei über die Einkommensschwellen gefälscht: Obama wollte die Grenze ursprünglich schon bei 250.000 Dollar ansetzen. Die Republikaner wollten zunächst gar keine Erhöhungen, fassten dann aber eine Einkommens-Schwelle von einer Million Dollar ins Auge.
Im Senatsentwurf ist die Rede von 400.000 Dollar für Einzelpersonen und 450.000 Dollar für Haushalte. Dass Obama das als Sieg der Demokraten verkaufen will, sorgte bei der Opposition verständlicherweise für Entrüstung. "Das ist nicht die Art und Weise, in der Präsidenten führen sollten", rügte John McCain - der republikanische Senator war Obama 2008 im Präsidentschaftswahlkampf unterlegen. Tatsächlich ist der Senatsdeal nichts wert, solange er nicht von beiden Kammern des Kongresses abgesegnet und als Gesetz von Obama unterschrieben ist.
Und selbst dann wäre der Präsident auf eine funktionierende Zusammenarbeit mit den Republikanern angewiesen. Denn alle wirklich wichtigen Entscheidungen sind nur aufgeschoben: Damit das Fallbeil bei den Staatsausgaben nicht doch noch fällt, müssen sich die Parteien binnen zwei Monaten einig werden, wo sie bei den Staatsausgaben die Schere ansetzen. Das haben sie freilich in den letzten eineinhalb Jahren nicht geschafft - und es wird für die regierenden Demokraten eine schmerzhafte Debatte. Somit droht im Februar die nächste Katastrophe: Bis dahin müssen die Sparpläne unter Dach und Fach sein. Und es muss zeitgleich die Schuldengrenze angehoben werden, sonst können die USA ihre Schuldscheine nicht zurückzahlen und wären pleite (unten).
Mit Spannung erwartet wird nun die Reaktion der Finanzmärkte. Am Neujahrstag hatten die Börsen geschlossen. Sollte es bis zum Handelsauftakt am Mittwoch kein Gesetz geben, droht ein gewaltiger Kursabsturz.