EU distanziert sich von Ukraine und ringt in der Debatte um das Verhältnis zur Türkei um Einigkeit.
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Brüssel. Eine prall gefüllte Agenda ohne weitreichende Beschlüsse: Bei ihrem Gipfeltreffen in Brüssel hatten die Staats- und Regierungschefs der EU gleich etliche kontroverse Themen zu besprechen. Neben der Flüchtlings- und Verteidigungspolitik gehörte dazu das umfassende Handelsabkommen mit der Ukraine, dessen Ratifizierung in den Niederlanden durch ein Referendum verhindert wurde. Mit einer Zusatzerklärung, mit der die EU auf Distanz zu Kiew geht, sollen die Niederländer nun beruhigt werden: Die Vereinbarung bedeute nicht, dass der Ukraine eine EU-Beitrittsperspektive gewährt werde. Außerdem seien die EU-Mitgliedstaaten weder zu Sicherheitsgarantien noch zu militärischer Hilfe für das Nachbarland verpflichtet. Das Recht für Ukrainer, sich in der Union niederzulassen oder zu arbeiten, gebe es ebensowenig.
Ein weiterer Vertrag stand ebenfalls auf der Tagesordnung des Spitzentreffens. Die EU bekräftigte die Gültigkeit des Abkommens mit der Türkei zum besseren Grenzschutz und zur Rückführung von Flüchtlingen. Eine ausgedehnte Debatte über den Annäherungsprozess der EU-Beitrittskandidatin blieb aber aus.
Der österreichische Bundeskanzler Christian Kern musste einmal mehr einräumen, dass die Regierung in Wien für ihre Haltung keine Unterstützung findet. Er selbst hatte schon vor Monaten einen Stopp der Beitrittsgespräche gefordert, und Außenminister Sebastian Kurz sperrte sich erst vor wenigen Tagen gegen eine gemeinsame Erklärung seiner Amtskollegen, die ein Einfrieren des Dialogs ablehnen. Zumindest konnte Kurz durchsetzen, dass fürs erste keine neuen Verhandlungskapitel eröffnet werden. Er verwies dabei auf entsprechende Stellungnahmen des EU-Parlaments sowie des Nationalrats in Wien. Vor dem Treffen mit seinen Amtskollegen relativierte Kern jedoch: Es sei "kein Signal der Stärke, auf Dauer Blockadeübungen zu betreiben". Stattdessen gelte es, Mehrheiten zu finden. Solange dies nicht gelinge, "haben wir die europäische Situation zur Kenntnis zu nehmen".
Sanktionen gegen Russland verlängert
Trotzdem wächst in Ankara die Empörung über die österreichische Position. Laut Medienberichten hat Außenminister Mevlüt Cavusoglu bereits einen Konfrontationskurs angekündigt. Er werde von nun an "auf allen Ebenen gegen Österreich auftreten", erklärte er und schloss eine Diskussion mit dem Land aus, wo das Parlament "Beschlüsse gegen uns fasst" und die Medien "schlecht über uns berichten".
In Brüssel hingegen hüteten sich die EU-Spitzenpolitiker davor, die Wogen höher steigen zu lassen. Großbritannien beispielsweise sieht die Türkei als wichtige Nato-Partnerin an, und Deutschland betont immer wieder die Notwendigkeit des Flüchtlingsabkommens. Dennoch ist der Streit über das Verhältnis der EU und der Türkei eher aufgeschoben denn aufgehoben.
Das gilt auch für die Debatte um die Verlängerung der Wirtschaftssanktionen gegen Russland wegen des Konflikts um die Ukraine. Denn auch da gehen die Meinungen auseinander – auch wenn dieses Mal die Strafmaßnahmen bestätigt wurden: Sie sollen bis Mitte 2017 aufrecht bleiben. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr französischer Amtskollege François Hollande hatten für eine Verlängerung plädiert, weil die in der weißrussischen Hauptstadt Minsk vereinbarte Friedenserklärung nicht umgesetzt wird. Das ändert aber nur wenig daran, dass es in manchen Hauptstädten – unter anderem in Wien – Skepsis gegenüber der Wirksamkeit der Sanktionen gibt.
Doch nicht nur zwischen den Mitgliedstaaten, sondern auch den EU-Institutionen zeichnen sich die nächsten möglichen Bruchlinien ab. So löst der geplante Austritt Großbritanniens aus der Union Zwistigkeiten aus, bevor die Brexit-Gespräche überhaupt begonnen haben. Es geht um Kompetenzgerangel: Während die EU-Kommission ein ehemaliges Mitglied aus ihren Reihen, den Franzosen Michel Barnier, zum Chefverhandler ernannt hat, möchte das EU-Parlament nun auch am Verhandlungstisch vertreten sein. Schon zuvor haben die Abgeordneten ihren Kollegen Guy Verhofstadt zu ihrem Brexit-Beauftragten bestimmt.
EU-Parlament will Platz am Brexit-Verhandlungstisch
Der Fraktionsvorsitzende der Liberalen reagierte denn auch verärgert auf die Pläne, dass die Volksvertretung lediglich eine Nebenrolle bei den Gesprächen spielen soll. Denn die Staats- und Regierungschefs bestätigten bei ihrem Treffen das Mandat Barniers. Für die Regierungen sind allerdings etliche Kontrollmechanismen eingebaut, die die Einflussnahme der Länder ermöglicht: So behalten sich diese das Recht vor, während der Gespräche Leitlinien zu definieren oder zu verändern.
Dass das EU-Parlament dabei an den Rand gedrängt werden könnte, gefällt den Mandataren nicht. Das brachte auch der scheidende Präsident des Abgeordnetenhauses zum Ausdruck. Nach einer Zusammenkunft mit den Staats- und Regierungschefs warnte Martin Schulz vor einem Ausschluss der Volksvertretung. Denn die müsse der künftigen Vereinbarung ebenfalls zustimmen. Daher sei eine Einbindung des Parlaments schlicht "ein Akt der Vernunft", befand Schulz.
Auf dem Gipfel selbst stand eine Brexit-Debatte ebenfalls auf der Agenda. Beim Abendessen beschäftigten sich die Spitzenpolitiker mit dem organisatorischen Rahmen der künftigen Verhandlungen. Die britische Premierministerin Theresa May nahm daran nicht mehr teil, aber im Vorfeld forderte sie "geordnete und reibungslose" Gespräche zwischen Brüssel und London: "Das ist nicht nur in unserem Interesse, sondern im Interesse aller." Offiziell beginnen kann der Dialog jedoch erst, wenn London sein Austrittsgesuch eingereicht hat. Dies soll laut May bis Ende März des kommenden Jahres erfolgen.