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Die Nadel, das Virus und der Zwang

Von Daniel Bischof

Politik

Gegner und Anhänger einer Impfpflicht bringen sich in Stellung. Doch was ist rechtlich zu beachten?


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Eine mögliche Corona-Impfpflicht entzweit die Gemüter. Angeheizt durch die Debatte um den umstrittenen russischen Covid-19-Impfstoff Sputnik V bringen sich Befürworter und Gegner weltweit in Stellung. Noch steht der Diskurs unter einigen Fragezeichen - so ist offen, ob es überhaupt jemals einen wirksamen, sicheren Impfstoff geben wird.

Rechtlich ist die Situation hingegen klarer. Sollte die bisher eher theoretische Diskussion praktisch relevant werden, können Politiker in Österreich auf ein breites Spektrum an rechtlichen Vorgaben zurückgreifen: Gerichte bis hinauf zum Europäischen Menschengerichtshof haben sich mit der Impfpflicht befasst; Rechtswissenschafter klargestellt, wann ein Zwang zur Impfung zulässig wäre. Auch ist gesetzlich geregelt, wann der Staat für Schäden aufkommen muss.

In Österreich ist zwischen zwei Ebenen zu unterscheiden. Zunächst ist zu fragen, ob der Staat nicht sogar zur Einführung einer Covid-19-Impfpflicht verpflichtet ist, um die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen. Eine solch positive Schutzpflicht kann sich aus den Grundrechten, etwa dem Recht auf Leben, ergeben.

"Aus verfassungsrechtlicher Sicht besteht bei Covid-19 dafür wohl aus heutiger Perspektive keine Pflicht", sagt Karl Stöger, Verfassungsrechtler und Experte für Medizinrecht an der Universität Graz. Der Staat habe verschiedene Möglichkeiten, mit ansteckenden Krankheiten umzugehen: "Eine allgemeine Impfpflicht ist nur eine davon." Anders wäre die Lage nur dann, wenn eine Impfpflicht der einzig medizinisch gangbare Weg zum umfassenden Schutz der Bevölkerung wäre, erklärt Stöger.

Breiter Handlungsspielraum

Andererseits stellt sich die Frage, ob die Einführung einer Coronavirus-Impfpflicht gegen Grundrechte verstoßen könnte. Fest steht, dass eine Impfung in die körperliche Integrität und damit das Recht auf Privatleben eingreift. Dieser Eingriff kann aber gerechtfertigt sein. Nämlich dann, wenn der Vorteil für die gesamte Bevölkerung die Nachteile des Einzelnen überwiegt.

Dabei komme es vor allem darauf an, wie gefährlich und ansteckend die Krankheit sei und ob ohne Impfung eine Überlastung der Intensivstationen drohe, erklärt Stöger. Auch der mangelnde Erfolg einer freiwilligen Impfung könne eine Impfpflicht rechtfertigen - etwa dann, wenn es eine sichere Covid-19-Impfung gebe, diese aber nur von sehr wenigen Menschen in Anspruch genommen werde, so Stöger.

Dass der Gesetzgeber einen eher breiten Handlungsspielraum hat, zeigt eine Entscheidung (Solomakhin v. Ukraine) des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Sie dreht sich um einen Ukrainer, der aufgrund eines akuten Atemwegsinfekts im Jahr 1998 ein Spital in Donezk aufsuchte. Dort wurde er unfreiwillig gegen Diphtherie - eine schwere bakterielle Infektion, die in den 1990er-Jahren in der Ukraine grassierte - geimpft.

Der Betroffene klagte die Behörden, der Fall wanderte bis zum Höchstgericht. Der EGMR wies das Begehren zurück. "Der Gerichtshof hielt fest, dass die Impfung ein zulässiger Eingriff in die körperliche Integrität war", so Stöger. Grund: Die Impfung habe dem öffentlichen Gesundheitsschutz in der Ukraine gedient und sei notwendig gewesen, um die Verbreitung einer ansteckenden Krankheit einzudämmen.

Eine Impfpflicht gegen das Coronavirus wäre nach derzeitigem Stand in Österreich rechtlich zulässig, sagt Stöger: "Aber natürlich nur, wenn der Impfstoff sicher ist und keiner Person verabreicht wird, die ihn nicht verträgt."

Ein Teil der Bevölkerung steht einer Pflichtimpfung aber skeptisch bis ablehnend gegenüber. Was ist die Folge, wenn sich jemand einer Impfung verweigert? "Die Idee einer Pflichtimpfung ist nicht, dass man die Leute fesselt und ihnen was spritzt: Das wäre unverhältnismäßig", so Stöger.

Stattdessen werde eine Verwaltungsstrafe drohen, wenn man sich nicht impfen lasse. Die Strafe würde dabei so bemessen werden, "dass man die Anzahl der Verweigerer auf ein Ausmaß drücken kann, bis Herdenimmunität besteht", sagt der Medizinrechtler. Möglich wären auch Einschnitte bei Sozialleistungen: "Das wurde bereits in der Diskussion um die Masern-Impfpflicht überlegt. Die Idee war, Eltern weniger Kinderbetreuungsgeld zu geben, wenn sie die Impfung ihrer Kinder verweigern."

Entschädigung bei Schaden

Erlässt der Staat eine Impfpflicht, kommt das Impfschadengesetz zur Anwendung. Darin wird festgelegt, wann der Staat für Schäden aufkommen muss, die einer Person durch eine Impfung entstehen.

"Wenn bei der Impfung etwas passiert, muss der Staat für den Zwang, den er auf die Bürger ausgeübt hat, geradestehen", erklärt Stöger. Darunter fallen etwa die Behandlungs- und Heilungskosten für den Impfschaden, aber auch eine Beschädigtenrente kann fällig werden. "Der Staat muss das wiedergutmachen, was wiedergutzumachen ist", sagt Stöger.