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Die Nato hat Reformbedarf

Von Stefan Haderer

Gastkommentare
Stefan Haderer ist Kulturanthropologe und Politikwissenschafter. Alle Beiträge dieser Rubrik unter: www.wienerzeitung.at/gastkommentare

Das transatlantische Bündnis agiert immer noch wie im Kalten Krieg.


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Die Erwartungen an den Nato-Gipfel in Brüssel diesen Mittwoch und Donnerstag sind gedämpft, denn ein Schatten hängt über dem Ereignis. Das westliche Militärbündnis, das bisher mehr zur Verschärfung als zur Lösung von Krisen beigetragen hat, hat dringenden Reformbedarf. Die Organisation definiert sich nämlich allein durch die Feindschaft zwischen dem Westen und Russland, während sie wesentliche Agenden und Teile des zivilen Notfallplanes sträflich vernachlässigt.

Mit Spannung sehen Beobachter der Zusammenkunft zwischen US-Präsident Donald Trump und dem russischen Staatschef Wladimir Putin in wenigen Tagen in Helsinki entgegen. Die Botschaft der Nato ist unmissverständlich: Im Osten Europas setzt sie auf militärische Abschreckung und Verteidigung vor der vermeintlichen russischen Bedrohung.

Gleichzeitig fordert der US-Präsident von Partnern wie Deutschland eine Erhöhung der Ausgaben für die Allianz. Für ihn sind die Beiträge, die die USA in die Verteidigung Europas investieren, zu hoch. Unerwähnt lässt er allerdings die bittere Erkenntnis, dass sehr viele kriegerische Abenteuer im Nahen Osten von Washington aus geplant und durchgeführt wurden und die EU die dramatischen Folgen dieser Konflikte jetzt im Alleingang bewältigen muss.

Im November 2015, als die Flüchtlingskrise in Europa bereits ihren Höhepunkt erreicht hatte, stellte Judy Dempsey, Senior Associate und Chefredakteurin bei Carnegie Europe, fest, dass die Nato die Entwicklungen in Südeuropa "fast gleichgültig" beobachte. Dadurch nahm das transatlantische Bündnis einen Teil seines Auftrags nicht war - nämlich den zivilen Notfallplan im Rahmen des Euro-Atlantic Disaster Response Coordination Center. Anstatt völlig überforderte Nato-Mitgliedstaaten bei der Koordinierung des Migrantenstroms zu unterstützen, wurden fast zeitgleich rund 36.000 Truppeneinheiten nach Polen und ins Baltikum verlegt, um zumindest einen Phantomkrieg gegen Russland zu führen.

Abgesehen von unzähligen militärischen Niederlagen, in denen das Bündnis als Hauptakteur verwickelt ist, und der unterlassenen Hilfeleistung in der Flüchtlingskrise unternimmt die Organisation so gut wie nichts, um den türkischen Machthaber Recep Tayyip Erdogan in die Schranken zu weisen. Seit Monaten sieht sich Griechenland mit dessen martialischer Rhetorik und andauernden Grenzkonflikten in der Ägäis konfrontiert - ohne dass die Nato mahnend oder schlichtend eingreifen würde. Zu den ersten Gratulanten nach Erdogans Wiederwahl zählte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der die Mitgliedschaft der Türkei im Bündnis trotz Erdogans autoritärem Kurs nicht missen möchte.

Nach wie vor begreift sich die Nato als Militärbündnis und agiert immer noch wie im Kalten Krieg. Nur durch eine völlige Neuordnung und Neudefinierung als Friedensallianz und Vermittler kann sich die Organisation in Zukunft noch legitimieren. In einer Europäischen Union, deren Einheit durch die Migrationskrise, den Terrorismus und Nationalismus immer stärker zu zerfallen droht, wird sich die Nato am Ende aber als nicht mehr überlebensfähig erweisen.