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"Bestehende Sicherheitsdoktrin fortschreiben." | "Der Vorwurf der Nato-Nähe geht für mich ins Leere". | Spardruck macht Umsetzung der BH-Reform "unmöglich". | "Wiener Zeitung": Warum braucht Österreich eine neue Sicherheitsdoktrin?
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Edmund Entacher: Die geltende Sicherheitsdoktrin stammt aus 2001, damals waren die politischen Verhältnisse in Österreich noch andere und auch nicht klar, wie sich die Europäisierung der Sicherheitspolitik entwickeln würde - insbesondere das Verhältnis EU-Nato war noch unbestimmt. Sicherheitspolitisch hat sich Europa seitdem beruhigt, die kriegerischen Konflikte sind in andere Regionen gewandert. Aufgrund dieser Entwicklungen ist es vernünftig, sich die Doktrin noch einmal näher anzuschauen und weiterzuentwickeln. Es geht nicht um einen Neuanfang, sondern um eine Aktualisierung und Fortschreibung des Bestehenden.
Wie ist denn jetzt das Verhältnis EU-Nato?
Für uns ist entscheidend: In Österreich will niemand mehr in die Nato, deswegen zählt für uns nur die europäische Sicht der Dinge. Mit dem Lissabon-Vertrag ist - symbolisch bedeutend -nicht mehr nur von der ESVP, also der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, sondern von der GSVP, der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die Rede. Dabei wird auch die gemeinsame Solidarleistung noch deutlicher hervorgestrichen .. .
. . . bei der sich Österreich aber eine Ausnahmeregelung herausverhandelt hat.
Wörtlich steht das nirgends, allerdings ist es geübte politische Praxis.
Ist dieser zweideutige Umgang - formal ist es so, praktisch aber anders - nicht typisch für unsere Sicherheitspolitik?
Natürlich gibt es hier mehrere Ebenen, auf der einen Seite Wissenschafter und Experten, auf der anderen Seite Politiker - und manchmal kommt es eben zu solchen Theorie/Praxis-Kollisionen. Die sind aber nicht so ungewöhnlich, wie manche tun. Politik ist nun einmal die Kunst des Machbaren.
In der Sicherheitspolitik kümmert sich aber die Politik nicht um das Bohren der dicken Bretter, sondern zieht sich auf Formalstandpunkte der Art "wir sind neutral" zurück und überlässt es den Praktikern, die Normen an die Realitäten anzunähern.
Das ist eben so, und diese Bretter sind tatsächlich hart und dick.
Zurück zum Thema EU-Nato: Wie sieht das Verhältnis in der Praxis aus?
Die Truppen, die es in Europa gibt, werden, wenn es den EU-Fall gibt, von der EU eingesetzt. Hier ist auch Österreich voll mit dabei. Ob diese Truppen bei anderen Fällen ein Nato-Mascherl tragen, ist dabei irrelevant. Es wäre absurd, eine zweigleisige Truppenstruktur aufzubauen. Damit das aber funktioniert, müssen auch wir uns an die bestehenden Strukturen angleichen.
Und diese Strukturen sind naturgemäß Nato-lastig.
Die Nato hat diese Strukturen nun einmal bereits, neue zu schaffen, wäre unsinnig. Ich mag aber den Begriff "Nato-lastig" nicht, weil er impliziert, dass etwas zu Gunsten der Nato geschieht. Aber die EU ist ja in der angenehmen Situation, dass sie sich die Normen und Strukturen prinzipiell aussuchen kann. Die Nato ist der Werkzeugkasten, aus dem sich die EU bedient - inklusive jenes Beitrags, den die Nicht-Nato-Mitglieder der EU leisten.
Und worin besteht vor diesem Hintergrund der Kern der Neutralität?
Sagen wir es so: So, wie die Neutralität verrechtet ist, erlaubt sie der Regierung, das sie die völkerrechtliche Neutralität in Anspruch nimmt. Was die meisten Menschen nicht wissen, ist, dass die Neutralität einen anlassbezogenen Aspekt hat. Ohne Anlassfall kann man sich nicht neutral verhalten.
Was macht Sie so optimistisch, dass in der politischen Debatte über die neue Doktrin nicht nur Neutralität oder Nato diskutiert wird?
Diese Gefahr besteht, aber ich bin berufsmäßiger Optimist, zumal im Unterschied zu 2001 kein Politiker mehr in die Nato will.
Dennoch weisen die Textentwürfe zur neuen Sicherheitsdoktrin, wie die "Wiener Zeitung" aufzeigte, eine große Anlehnung an die Nato auf.
Ich glaube, dass hier eine Textüberarbeitung unter Einbezug der Politik, aber noch vor der parlamentarischen Behandlung, viele Steine beseitigen kann. Der Text selbst kann ja nicht im Parlament geschrieben werden. Wenn man will, könnte man die Beamtenarbeit an der neuen Doktrin demnächst abschließen.
Wann?
Noch heuer, wenn man will. Die neue Doktrin könnte dann 2011 beschlossen werden. Der Vorwurf der Nato-Nähe geht für mich ins Leere, hier geht es nur um Termini technici, um Fachbegriffe.
Und inhaltliche Aspekte wie die angestrebte Teilnahme Österreichs an einer EU-Raketenabwehr?
Schauen Sie, im Zivilluftfahrtbereich entsteht jetzt die "Single European Sky", die Radarketten - zivile wie militärische - werden nach und nach zumindest kompatibel sein. Selbst wenn wir uns in nächster Zeit nicht in den Datenaustausch einklinken wollen, muss er vernünftigerweise technisch möglich sein.
Im Oktober 2008 klagten Sie, das Heer müsse "zu viel sparen", und pochten auf mehr Geld. Stattdessen mussten Sie 2009 erneut 9 Prozent beim Sachaufwand kürzen. Für 2011 werden erneut 80 Millionen gekürzt.
Unser Konsolidierungsbedarf beträgt ohne Sport 75,8 Millionen Euro. Dadurch wird die Umsetzung der Bundesheerreform in der vorgegebenen Form und Zeit unmöglich.
Was bedeutet das?
Dass wir bedeutende Einschnitte machen müssen, mit Details kann ich aber noch nicht aufwarten. In der gesamten Fliegerei werden wir straffen müssen, und straffen heißt kürzen. Das könnte auf Kosten der Nachfolger für die Saab 105-Trainingsflugzeuge gehen, auch bei neuen Entwicklungen, etwa Drohnen, werden wir nicht mitmachen können. Und der gesamte Fuhrpark wird redimensioniert, und redimensionieren heißt kürzen. Von über 9000 Fahrzeugen aller Art werden wir über 1000 aussortieren.
Macht es angesichts der negativen Berichte noch Spaß?
Zweifelsfrei hätte ich gerne mehr Geld für das Heer, aber ein Spitzenmilitär, der schwierige Zeiten nicht aushält, ist sowieso am falschen Platz. Man muss von Soldaten verlangen können, dass sie auch Krisen ertragen können, das gehört zum Job. Das Bundesheer muss in Zeiten der Krise solidarisch sein, auch wenn wir schon zuvor stets zu wenig Geld gehabt haben. Entscheidend ist aber, auch wenn das paradox klingen mag: Das Bundesheer konnte und kann die Aufgaben erfüllen, die ihm gestellt werden. Das impliziert aber auch natürlich eine geringere Leistungs- und Durchhaltefähigkeit.
Stimmt es, dass Sie Minister Darabos mit Ihrem Rücktritt gedroht haben?
Nein. Es gab rund um die im Vorjahr gestoppte Anschaffung von 145 Allschutz-Transportfahrzeugen eine Auseinandersetzung und eine Befragung, weil die Frage im Raum schwebte, ob ich eine Weisung des Ministers nicht befolgt habe. Ich konnte das ziemlich leicht aufklären.