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Die Nato ist kein Tabu mehr

Von Alexander Dworzak

Politik

Nordeuropas Staaten gehören zumeist der Nato an. Russland warnt Schweden und Finnland vor einem Beitritt.


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Um die Weihnachtszeit ruht auch der sonst hektische Medienbetrieb weitgehend. Unangenehme Nachrichten und Neuigkeiten, die nicht groß auffallen sollen, werden dann gerne deponiert. Kaum internationale Resonanz fand auch eine Meldung, welche die Presseabteilung des russischen Außenministeriums am 24. Dezember ausschickte. Die Forderungen von Präsident Wladimir Putin nach einem Stopp der Nato-Osterweiterung würden auch Schweden und Finnland betreffen, richtete die Regierung in Moskau aus - während die Weltöffentlichkeit auf den Konflikt um die Ukraine blickte, in dessen Nähe Russland rund 100.000 Soldaten zusammengezogen hat. Im Norden Europas kam die Drohung aber sehr wohl an, Schweden erhöhte tags darauf seine Gefechtsbereitschaft.

Die Politik setzte nach: "Wenn künftige Nato-Erweiterungen abgelehnt werden, wird das die Möglichkeiten unabhängiger politischer Entscheidungen einschränken", warnte die schwedische Außenministerin Ann Linde. Dabei genießt Souveränität Priorität, seit mehr als 200 Jahren ist das skandinavische Land sicherheitspolitisch unabhängig. Eine Nato-Mitgliedschaft wird von den regierenden Sozialdemokraten derzeit nicht forciert, Ministerpräsidentin Magdalena Andersson plädiert für Stabilität. Die größte konservative Oppositionspartei, die Moderaten, befürworten hingegen den Beitritt zum westlichen Militärbündnis. Diese Option möchte Andersson nicht aufgeben. Vielleicht wird sie eines Tages gebraucht.

Denn die Beziehungen zu Russland sind in ganz Nordeuropa abgekühlt, insbesondere seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim 2014 und Moskaus - stets offiziell dementierter - Unterstützung für die Sezessionisten in der Ostukraine. Die Verschlechterung der Beziehungen trifft die skandinavischen Staaten, Finnland und die baltischen Länder aber in unterschiedlichem Ausmaß.

So inbrünstig Schweden die Bündnisfreiheit verteidigt, längst kooperiert es mit der Nato. 1994 zählte es zu den Gründungsnationen der "Partnerschaft für den Frieden" (PfP) zwischen Nato-Ländern und Nicht-Mitgliedern. Auch beteiligt sich Schweden häufiger als manches Nato-Land an Operationen des Bündnisses, zum Beispiel in Afghanistan und Libyen. Der letzte Schritt der Annäherung besteht seit 2016 in der Teilnahme am sogenannten Host-Nation-Support-Abkommen. Auf Einladung Schwedens dürfen Nato-Truppen auf dem Territorium des Landes operieren, und zwar nicht nur für Übungen, sondern auch in Krisenzeiten. Garantie für Unterstützung ist das aber nicht, die bietet nur, wenn Nato-Länder untereinander den Bündnisfall ausrufen: Ein bewaffneter Angriff auf ein Mitglied gilt als Angriff auf alle Staaten der Allianz.

Enge militärische Kooperation pflegt Schweden mit Nachbar Finnland, das 1.300 Kilometer Grenze mit Russland teilt - so viel wie kein anderes EU-Mitglied. Wie Österreich war Finnland zur Zeit des Kalten Krieges ein demokratischer Außenposten vor dem Einflussbereich der Sowjetunion. Strikt praktizierte Finnland seine außenpolitische Neutralität gegenüber den USA und der UdSSR, wollte Moskau keinesfalls verärgern. "Dem Rest der Welt sollte gezeigt werden, dass sie in Frieden mit den Nachbarn leben können. In Wahrheit hat Moskau sogar kontrolliert, was in Finnland in Schulbüchern über die Sowjetunion geschrieben wurde", stellte die finnisch-estnische Autorin Sofi Oksanen ein vernichtendes Zeugnis aus.

Kritik unter Nato-Schutz

Jahrzehntelang galt daher eine finnische Nato-Mitgliedschaft als Tabuthema. Doch auch hier agieren die politischen Spitzen mittlerweile offensiver. Präsident Sauli Niinistö richtete Moskau in seiner Neujahrsansprache aus: "Das Recht, selber zu entscheiden, lassen wir uns nicht nehmen." Dabei werden dem Staatschef gute Beziehungen zu seinem Amtskollegen Wladimir Putin attestiert. Finnlands Premierministerin Sanna Marin tat es Niinistö gleich.

Währenddessen schreitet die Modernisierung der Luftwaffe voran. Dass sich Finnland gegen den schwedischen Kampfjet und für ein US-Modell entschieden hat, könnte auch ein Indiz für eine weitere Heranführung an die Nato sein, die wie in Schweden seit Jahren besteht. Auch Finnland ist Gründungsmitglied der PfP und hat sich ebenfalls an der Nato-Mission in Afghanistan beteiligt. Wiewohl es kein Verteidigungsbündnis ist, bietet die EU-Mitgliedschaft Finnland - ebenso wie Schweden - Schutz vor russischer Aggression. Moskau hat in den vergangenen Jahren in Europa in Transnistrien, Georgien und der Ukraine interveniert, vergleichsweise wehrlosen Ländern oder parastaatlichen Gebilden.

Um sich zu wappnen, waren gleich drei nordeuropäische Staaten bei der Gründung der Nato 1949 vertreten: Island, Dänemark und Norwegen, das knapp 200 Kilometer Landgrenze mit Russland teilt. Nach dem Zerfall der UdSSR strebten die ehemaligen Sowjetrepubliken Estland, Lettland und Litauen so schnell wie möglich die Westintegration an. 2004 wurden sie sowohl in EU als auch Nato aufgenommen. Unter dem Schutzschirm stiegen die baltischen Länder zu den lautstärksten Kritikern Russlands auf; zu ihnen zählte der von 2006 bis 2016 amtierende estnische Präsident Toomas Hendrik Ilves. Der Einfluss innerhalb der EU blieb jedoch beschränkt, die Bedenken im Verbund mit Polen gegen die Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 als geopolitische Waffe Russlands wurden jahrelang von Deutschland vom Tisch gewischt.

Verhältnismäßig viel Gehör konnten sich die Balten bei den USA verschaffen, auch weil sie das Nato-Ziel von zwei Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben einhalten. Nicht nur deswegen werden die USA mit Sicherheit eine weitere russische Forderung ablehnen: dass Truppen oder Waffen nicht mehr in Ländern stationiert werden sollen, die 1997 noch nicht Teil der Nato gewesen sind. Das Ansinnen zielt auf sämtliche postkommunistische Länder Europas und würde die bestehende Sicherheitsarchitektur zerstören.