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Wie soll die Allianz mit Russland und China umgehen?
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Vor wenigen Tagen bekannte sich US-Präsident Joe Biden dazu, Taiwan im Falle eines chinesischen Angriffs auch militärisch zu verteidigen. Die neue US-Regierung konzentriert sich stark auf den indopazifischen Raum. Mitte September vereinbarten Australien, Großbritannien und die USA das trilaterale Militärbündnis Aukus. Australien wird bis März 2023 bei der Entwicklung und beim Einsatz von Atom-U-Booten unterstützt. Das neue Bündnis richtet sich gegen China, ohne allerdings das Land beim Namen zu nennen. Anfang 2021 zitierte die "New York Times" aus einem US-Geheimdienstbericht, China sei die größte Herausforderung für die nationale Sicherheit der USA. Erst an zweiter Stelle stehe Russland.
Auch die Nato ist auf China aufmerksam geworden. Im November 2020 legte eine von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg ins Leben gerufene Reflexionsgruppe Analysen und Empfehlungen zur Zukunft der transatlantischen Allianz im Jahr 2030 vor. Sie kam zu dem Schluss, dass Russland wohl die größte Bedrohung bleiben werde. China werde allerdings zunehmend ein "systemischer Rivale" und nicht nur ein auf Asien begrenzter Sicherheitsakteur. Die Autoren der Analyse raten zu einer Neuauflage des Strategischen Konzepts der Nato. In der jüngsten Fassung aus dem Jahr 2010 sei China nicht einmal vorgekommen. Das Land nehme Einfluss, indem es in Europa Infrastrukturen erwerbe, also als Investor auftrete.
Nun könnte man Investitionen begrüßen, wenn sich die Märkte für beide Seiten öffnen würden. Die Seitenstraßen-Initiative und die "17+1"-Initiative, mit der Chinas Regierung bei den Ministerpräsidenten mittel- und osteuropäischer Länder für Investitionsmöglichkeiten wirbt, sind allerdings Teil der außenpolitischen Strategie des Landes. Das Ziel ist, bis 2030 die globale Führungsmacht und bis 2049 auch die technologisch führende Supermacht zu werden.
Sowohl der US-Geheimdienstbericht als auch die Analyse der Nato-Reflexionsgruppe sind sich einig, dass ein militärischer Angriff Chinas auf westliche Demokratien derzeit unwahrscheinlich ist. Schon heute werden aber Desinformationskampagnen und Cyberangriffe aus dem Fernen Osten in Richtung Europa und den USA gestartet. Ende 2019 haben die Staats- und Regierungschefs der Nato erstmals China ausdrücklich als Bedrohung definiert.
Wie sollte die Nato also auf den wachsenden Einfluss Chinas reagieren? Und in welchem Verhältnis stehen dann Russland und China für die Allianz? Soll das Bündnis seinem alten Denkmuster treu bleiben und sich auf Russland, den islamistischen Terrorismus und hybride Bedrohungen einschließlich Cybersicherheit konzentrieren? Oder sollte die Nato verstärkt auch China im Blick haben, und wenn ja, was bedeutet das?
Bündnisfallals Knackpunkt
Die Nato wurde 1949 gegründet, um den expansiven sowjetischen Kommunismus einzudämmen. Mit dem Zerfall der Sowjetunion und dem Sturz der kommunistischen Regimes in Osteuropa geriet sie in eine Legitimationskrise. Die osteuropäischen Staaten befanden sich jedoch in einem Sicherheitsvakuum, das sie durch ihren Beitritt zur Nato überwanden. Darüber hinaus bemühte sich die Nato um einen Dialog mit Russland und bot Ländern, die ihr auf absehbare Zeit nicht beitreten konnten, die "Partnerschaft für den Frieden" an.
Die Terroranschläge in New York und Washington am 11. September 2001 führten zum ersten Bündnisfall in der Geschichte der Nato. Mit der Operation "Enduring Freedom" führte er zur militärischen Intervention in Afghanistan. Auf die sich verändernde Weltlage reagierte die Nato im Strategischen Konzept 2010. Über die Bündnisverteidigung hinaus wurden auch Krisenmanagement und kooperative Sicherheit als Kernaufgaben definiert.
Mit der Annexion der Krim und dem darauf beginnenden Krieg in der Ostukraine verschärfte sich allerdings innerhalb der Nato auch die Auseinandersetzung darüber, ob die Allianz sich zu einer "Global Nato" entwickeln oder auf die Bündnisverteidigung konzentrieren sollte. Die zweite Position wurde vor allem von Ländern wie Polen oder den baltischen Staaten vertreten, die in Russlands Außenpolitik eine zunehmende Bedrohung für sich sehen. Das Desaster der Nato in Afghanistan hat diese Diskussion noch einmal verschärft.
In diesem Zusammenhang ist auch das Verhältnis der Nato zu China zu sehen. Die Nato hat ein grundlegendes Problem: Sie erfreut sich in den meisten ihrer Mitgliedsländer stabiler Zustimmung. Umfragen zufolge sind aber nur wenige Mitgliedsländer bereit, andere Alliierte im Falle eines Angriffs zu verteidigen. Eine von der Nato heuer in Auftrag gegebene Studie kommt zu dem Schluss, dass 86 Prozent der Befragten erneut einem Nato-Beitritt ihres Landes zustimmen würden; 66 Prozent würden auch andere Alliierte verteidigen. Gerade bei der zweiten Option gibt es aber große regionale Unterschiede. Umfragen des Pew Reserach Centers kommen seit Jahren zu einem deutlich kritischeren Ergebnis: Unter 16 analysierten Mitgliedstaaten wird die Nato zwar positiv gesehen, aber in den meisten Ländern sind weit weniger als 50 Prozent der Befragten bereit, für andere Alliierte zu kämpfen.
Geringe Zustimmungzur Nato am Balkan
Die Nato-Studie belegt zwar, dass 41 Prozent der Befragten Russland und China negativ wahrnehmen, doch belegen andere Analysen sehr unterschiedliche Bedrohungswahrnehmungen: In Osteuropa ist es die Furcht vor Russland, im südlichen Europa die Sorge um illegale Migration und Terrorismus und in den USA die Rivalität mit Russland und China. Geringe Zustimmung erfährt die Nato in vielen Balkanstaaten. Diese Staaten nicht in die Nato aufzunehmen, heißt aber auch, dem Großinvestor China allein das Feld zu überlassen.
Was also sollte die Nato tun? Neugegründete Bündnisse wie Aukus stellen eine Chance dar, die Nato mit dem pazifischen Raum stärker zu vernetzen. Die USA verfolgen Sicherheitsinteressen gegenüber China in Japan, Taiwan oder Australien, für Großbritannien gehört Australien zum Commonwealth. Aukus könnte erweitert werden, indem es mit der Nato im Kampf gegen chinesische Cyberattacken oder hybride Bedrohungen kooperiert. Ohnehin sollten demokratische Staaten einander dabei global unterstützen. Es ist richtig, dass die Nato eine globale Bedrohungslage im Blick hat, zu der Russland und China gehören.
Für ihren Zusammenhalt muss sie aber auch die Gesellschaften ihrer Mitgliedstaaten überzeugen. Dort finden Bedrohungen erstrangig vor der eigenen Haustür statt. Deshalb sollte sich die Nato auf Abschreckung gegenüber und den Dialog mit Russland konzentrieren. Die Europäer müssen sich davon verabschieden, dass die USA bedingungslos ihre Sicherheit garantieren. Die USA könnten mehr Verantwortung im Indopazifik übernehmen, wenn die europäischen Nato-Mitglieder und auch die Europäische Union sich stärker um ihr eigenes Umfeld kümmerten. Die Nato muss ihre Aufgaben stärker konzentrieren und durch Vernetzung regional abstimmen. In ein Wettrüsten mit China sollte sie genau deshalb nicht eintreten.