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Experte Schiedel: "Neonazis werden noch ein Schäuflein nachlegen." | Demonstrationen am Freitag in der Wiener Innenstadt. | Wien. Es sind Kommentare, die einem den Atem stocken lassen. Von "den Juden" als "bakteriologischer Waffe" ist etwa im Neonazi-Forum "Thiazi", das sich als "Germanische Weltnetzgemeinschaft" bezeichnet, zu lesen. Israel sei die "größte Gefahr auf diesem Planeten", schreibt der Poster, dessen Wortwahl sich allzu perfekt in die biologistische Vorstellungswelt der Nationalsozialisten einreiht.
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Ein Einzelfall? Mitnichten. Auch bei der "Wiener Zeitung" sind seit der blutigen Stürmung der "Gaza-Solidaritätsflotte" durch die israelische Armee am Montag Leserbriefe mit antisemitischem Inhalt eingegangen. "Wie lange schaut die Welt diesen Verbrechern und Mördern noch zu?", heißt es etwa. Ein Kommentator verlangt gar die "Umsiedelung" der Bewohner Israels in die USA, ein anderer fragt nach dem Unterschied "der Juden" zu "Himmlers SS-Leuten".
Auch der Antisemitismus-Forscher Heribert Schiedel glaubt, dass die Zahl antisemitischer Vorfälle in Österreich durch den Zwischenfall im Mittelmeer ansteigen wird. Dies zeige die Erfahrung: Gab es 2008 "nur" 49 derartige Vorfälle in Österreich, so stieg diese Zahl angesichts der letzten Gaza-Offensive im Frühjahr 2009 - damals sei sogar die Innsbrucker Synagoge angegriffen worden - vergangenes Jahr auf 200. Schiedel glaubt, "dass diese Zahl heuer überschritten wird".
Neue Trägerschicht des Antisemitismus seit 9/11
Der Experte unterscheidet zwischen mehreren antisemitischen Gruppierungen: Neben den bekannten Neonazis seien auch ehemalige Linke wie die "Antiimperialistische Koordination" zu Antisemiten geworden. Außerdem hat sich laut Schiedel seit der zweiten Intifada 2000 und dann - "eskalierend" - nach dem 11. September 2001 unter den Muslimen in Europa eine neue Trägerschicht des Antisemitismus herausgebildet. Zwar gebe nicht die Religion den Antisemitismus vor, betont er, aber der Antisemitismus bediene sich der Religion.
Wer etwa die Kommentare im sozialen Netzwerk Facebook nach dem Stichwort "Jude" durchsucht, wird rasch eine Bestätigung für diesen Befund finden. "Juden feiern tote Türken! Das sind doch keine Menschen dreckiges Juden Pack!", schreibt etwa ein junger Mann mit Migrationshintergrund. "Hitler hätte euch Juden komplett ausradieren sollen", schreibt ein anderer - der Kommentar einer Facebook-Freundin dazu: "Stimmt, sehe ich auch so! Benzin drauf und abfackeln.. ."
Starker Tobak, den Facebook eigentlich löschen sollte. Laut den Nutzungsbedingungen dürfen dort keine Inhalte gepostet werden, die "verabscheuungswürdig, bedrohlich oder pornografisch sind, zu Gewalt auffordern (.. .) oder Gewalt enthalten." Das Facebook-Team arbeite daran, "Nazi-Inhalte" zu entfernen, heißt es aus dem Unternehmen.
Demonstration "gegen die Juden" in Wien
Ebenfalls auf Facebook findet sich der Aufruf zu einer Demonstration "gegen die Juden" heute, Freitag, in Wien. Die Polizei erwartet rund 5000 Teilnehmer, laut Schiedel sind Ausschreitungen zu befürchten. Zu einem Zwischenfall kam es bereits bei einer Demonstration mit rund 600 Teilnehmern am Dienstag: Einige Demonstranten bewarfen ein Gebäude mit Eiern und traten zwei Fenster ein, nachdem sie dort eine israelische Fahne entdeckt hatten. Laut Innenministeriums-Sprecher Rudolf Gollia kam es auch zum Einsatz von Tränengas. Er will aber nicht von antisemitischen Vorfällen sprechen: Die Wut der Demonstranten habe sich gegen den Staat Israel als völkerrechtliches Objekt und nicht gegen die Juden gerichtet, sagt er.
Schiedel sieht hier jedenfalls die islamische Glaubensgemeinschaft gefordert: Es wäre in ihrer Verantwortung, "mäßigend zu wirken", damit die Demonstrationen "in einem rechtsstaatlichen Rahmen bleiben". Carla Amina Baghajati von der Glaubensgemeinschaft meint dazu: "Wir haben Vertrauen in die Diskussionskultur der Menschen, die zur Demonstration kommen und um die spezifische Geschichte auch Österreichs wissen." Gleichzeitig müsse man "ständig den Diskurs führen, damit es nicht zu Hetze und Antisemitismus kommt".
Neonazis nutzen NSDAP-Plakat
Was die Neonazi-Szene betrifft, so glaubt Schiedel, dass diese "in nächster Zeit noch ein Schäuflein nachlegen" wird. Hinweise darauf gibt es genug. So wird auf der einschlägig bekannten Homepage "Alpen-Donau" unter dem Titel "Dem Terror einen Namen geben: Israel!" eine "Lösung für das Problem Israel" propagiert. Ein Bild zeigt zwei Hände, die ein Plakat zerreißen. "Juda - das auserwählte Volk?", steht da zu lesen. Dieses Sujet ist einem Aufruf zu einer NSDAP-Kundgebung entnommen - das Hakenkreuz wurde weggeschnitten.
Ob sich die Lage noch verschärft, werden die heutigen Demonstrationen zeigen - neben der antiisraelischen wird es am Stephansplatz auch eine proisraelische Kundgebung geben.