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Die neue alte Russland-Angst

Von Silviu Mihai

Politik

Rumänien fordert auf dem Nato-Gipfel eine eigene Schwarzmeer-Flotte, um Russland dauerhaft abzuschrecken.


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Bukarest. Auf dem Nato-Gipfeltreffen, das heute in Warschau beginnt, zeichnet sich ein Konflikt um die vor allem von Rumänien geforderte Schwarzmeerflotte ab. Bereits im vergangenen Mai, als im südrumänischen Dorf Deveselu erstmals ein US-Raketenabwehrsystem in Betrieb genommen wurde, hatte Außenminister Bogdan Aurescu die Initiative angekündigt und gleichzeitig bekanntgegeben, dass erste diesbezügliche Gespräche mit Bulgarien und der Türkei bald stattfinden werden. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der an der Zeremonie ebenfalls teilnahm, begrüßte die Initiative, und auch die anwesenden hochrangigen Vertreter des Pentagons zeigten sich begeistert.

Zwar fanden in den letzten Jahren immer wieder gemeinsame militärische Übungen einiger Nato-Staaten vor den Küsten Rumäniens und Bulgariens statt. Der rumänischen Position zufolge stellt allerdings nur eine ständige Schwarzmeerflotte eine angemessene Reaktion auf das aggressive Auftreten Russlands dar. Bukarest befürchtet, dass sich die Nato zu viel auf Polen und die baltischen Staaten konzentrieren und die südöstliche Flanke ignorieren könnte.

Yachten oder Kriegsschiffe?

Als Staatspräsident Klaus Johannis vergangenen Monat nach Sofia reiste, um sich die bulgarische Unterstützung zu sichern, ließ ihn Premier Bojko Borissow aber abblitzen. "Am Schwarzen Meer möchten wir gerne Yachten und Touristen sehen, und keine Kriegsschiffe", gab er ungewöhnlich scharf zu Protokoll. Die Medien in beiden Ländern kommentierten wochenlang den seltsamen Vorfall: Es stellte sich schnell heraus, dass die Idee nur bei einigen Politikern Unterstützung findet. So zählen der bulgarische Staatspräsident Rossen Plewneliew, Außenminister Daniel Mitow sowie ein Teil der bürgerlichen Regierungskoalition zu den überzeugten "Atlantikern", die traditionell einen harten Ton gegenüber Russland befürworten und in den letzten zwei Jahren nicht nur Worte, sondern auch Taten fordern. Die sozialdemokratische Oppositionspartei BSP und offensichtlich auch der Premier sehen hingegen keinen Anlass für "unnötige Provokationen". In Bukarest, wo sämtliche Politiker aller Parteien zu den Russlandkritikern gehören, sorgte der Vorfall für Ärger. "Den Bulgaren" wurden hinter vorgehaltener Hand oder in manchen Zeitungen sogar ganz offen Verrat und zwielichtige Deals mit Moskau unterstellt.

Angesichts des offensichtlichen Bruchs von internationalem Recht bei der Annektierung der Krim und der Intervention in die Ostukraine sehen sich die Hardliner in Rumänien in ihren langjährigen Befürchtungen bestätigt: Russland verstehe nur die Sprache der Waffen, so etwa der frühere Staatspräsident Traian Basescu, der den Westeuropäern Schwäche gegenüber dem Kreml vorwirft und in dessen Amtszeit die rumänischen Beziehungen zu Moskau einen historischen Tiefpunkt erreichten.

Das kleine Problem dabei ist natürlich, dass Rumänien allein "die Sprache der Waffen" nicht überzeugend sprechen kann. Zwar investierten die Bukarester Regierungen in den letzten Jahren relativ viel in Ausrüstung und - anders als etwa ihre ungarischen oder bulgarischen Kollegen - bemühen sich die rumänischen Politiker ständig, die Forderungen der Nato zu erfüllen, oder sogar zu übertreffen. Auch im Bereich Energie hat Rumänien in der letzten Zeit seine Abhängigkeit vom russischen Gas erfolgreich auf ein Minimum reduziert. Aber über eine nennenswerte Kriegsmarine, die der russischen Schwarzmeerflotte standhalten könnte, verfügt Rumänien nach wie vor nicht. Zusammen mit Bulgarien und vor allem mit der Türkei ließe sich das Problem jedoch leichter lösen, so das Kalkül der Militärexperten. Dafür wären allerdings Koordination und Unterstützung innerhalb der Nato notwendig, um die Kompatibilität der Kriegssysteme zu fördern und die Reaktionszeiten zu minimieren.

Verletzliche Flanke

Im Moment ist die Nato laut eigenen Angaben nicht in der Lage, ihre Ostflanke effizient gegen einen konventionellen russischen Angriff zu verteidigen. Sollte der Kreml eines Tages auf die Idee kommen, Truppen in die baltischen Staaten oder nach Rumänien zu schicken, so müsste die westliche Allianz dies also mehr oder weniger sehenden Auges hinnehmen.

Und weil die Intervention in die Ukraine aus osteuropäischer Sicht hinreichend gezeigt hat, dass Moskau sowohl die Absicht, als auch die Mittel dafür hat, befürchten die Politiker in Tallinn, Riga, Vilnius, Warschau und Bukarest, dass ihre Länder das Schicksal der Ukraine haben könnten, wenn nicht schnellstmöglich aufgerüstet wird.

"Wir möchten nicht von Deutschland und Frankreich, sondern von der Nato verteidigt werden", sagte vor kurzem die frühere rumänische Justizministerin und heutige Europaabgeordnete Monica Macovei. Solche Positionen spiegeln ein gewisses Misstrauen vieler Osteuropäer gegenüber ihren moderateren westlichen Nachbarn wider, denen sie unterstellen, sie im Ernstfall, wie so oft in der Geschichte, einfach in Stich zu lassen.