Zum Hauptinhalt springen

Die neue Außenpolitik der USA

Von Thomas Müller

Politik

Washington - Aus tschetschenischen Freiheitskämpfern werden plötzlich Terroristen, Pakistans isoliertes Militärregime sonnt sich mit einem Mal in der Gunst des Weißen Hauses und die Vereinten Nationen erhalten seit langem rückständige Beiträge ausgezahlt - der Kampf gegen den Terrorismus hat die amerikanische Außenpolitik grundlegend verändert.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 23 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

So wie Präsident George W. Bush alle Staaten der Welt aufgerufen hatte, sich zu entscheiden, auf welcher Seite sie im Kampf gegen den Terrorismus stehen, so entscheidet er nun mit ganz anderen Augen, welche Staaten dem Interesse der USA dienen. Eine der augenfälligsten Veränderungen war die Annäherung an Russland. Kaum dass Präsident Wladimir Putin seine volle Unterstützung angeboten hatte, änderte das Weiße Haus seine Einschätzung der Lage in Tschetschenien.

Bush erklärte vor laufenden Kameras, es stehe außer Zweifel, dass in Tschetschenien Terroristen mit Verbindung zu der Organisation El Kaida von Osama bin Laden operierten. Sie müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Bushs Sprecher Ari Fleischer verlangte, die Tschetschenen müssten ihre Kontakte zu Terrorgruppen "sofort und bedingungslos" abbrechen. Nur beiläufig wiederholte Fleischer die früheren Appelle an Moskau zur Einhaltung der Menschenrechte im Kampf gegen die tschetschenische Separatisten.

In der "Washington Post" erklärten Experten, sie erwarteten weitere Veränderungen im Umgang mit Russland. Um Konfrontationen mit Moskau zu vermeiden, könnte Bush die Aufnahme der baltischen Staaten in die NATO bremsen. Und auch die angedrohte Kündigung des ABM-Rüstungsvertrages von 1972 scheint plötzlich nicht mehr so ernst.

Einer der größten Profiteure der veränderten US-Außenpolitik aber ist Pakistan. Der einstige engste Verbündete Afghanistans, wo sich der mutmaßliche Terroristenführer Bin Laden versteckt halten soll, ist plötzlich zu einem der engsten Partner der USA in der Region aufgerückt. Die Sanktionen, die nach den Atomtests 1998 verhängt wurden, sind aufgehoben, das einst geächtete Militärregime erhielt eine erste amerikanische Millionenhilfe, und auch das Verbot von Waffenverkäufen an den wichtigen neuen Alliierten dürfte nicht mehr lange bestehen bleiben.

Dass die USA ihre Verbündeten inzwischen vor allem unter dem Gesichtspunkt der Nützlichkeit im Kampf gegen Bin Laden auswählen, zeigt auch das Beispiel Sudan - einer der sieben Staaten, die von Washington bisher als Unterstützer des internationalen Terrorismus eingestuft wurde. Nach den Anschlägen von New York und Washington bot die sudanesische Regierung den USA ihre Luftwaffenstützpunkte an und verwies darauf, dass sie gegen islamische Extremisten vorgehe. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten: US-Außenminister Colin Powell fand lobende Worte für das Regime und erklärte, Washington "schätze" die Schritte der sudanesischen Regierung. Als Dank ließ Washington am Freitag auch zu, dass der UN-Sicherheitsrat einige Sanktionen gegen den Sudan aufhob. Die Vereinten Nationen hatten einige Tage zuvor die freudige Nachricht bekommen, dass der US-Kongress nach jahrelangem Tauziehen plötzlich 582 Millionen Dollar zur Begleichung der amerikanischen Schulden bei den Vereinten Nationen freigegeben hatte. Das Gesetz passierte das Repräsentantenhaus diesmal ohne Kontroverse, was als weiteres Zeichen gewertet wurde, dass die USA für ihren Kampf alle Verbündeten zu belohnen gedenken.

Den neuen Regeln unterliegt auch der Nahost-Konflikt. Bush, der im Gegensatz zu seinem Vorgänger Bill Clinton anfangs kaum Interesse an der Lösung des Konflikts zeigte, verstärkt jetzt seinen Druck auf beide Seiten. Für Bush ist es nun wichtig, die Lage zu deeskalieren, um für seine Koalition gegen den internationalen Terrorismus die Araber mit ins Boot zu holen. Bush weiß, dass die Chancen dafür viel besser sind, wenn im arabischen Fernsehen keine Bilder mehr von israelischen Panzern zu sehen sind.