)
Gruppen wie "Pussy Riot" und Femen setzen auf alternative Protestformen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Moskau/Kiew/Minsk. "Sieben Jahre Haft sind lange, wenn man nichts verbrochen hat", empört sich Sergej K.. In seinem Blog zieht der Moskauer Student gegen den Prozessauftakt für die drei Mitglieder der Punkband "Pussy Riot" zu Felde - und gegen das Strafmaß, das ihnen wegen ihres Protestauftritts in der Erlöserkirche droht. Er hält es für einen "schlechten Witz Putins". "In einem autoritären Staat, der Demonstrationen kaum duldet und in dem die Politik erstarrt ist, muss man auf aktionistische Aktionen zurückgreifen. Was soll man denn sonst tun?", verteidigt er die jungen Frauen.
Der Satz könnte von den Protagonistinnen selbst stammen. Guerilla-Taktik statt Protestmärsche lautet auch ihre Devise. Seit dem Vorjahr sorgte die feministische Band immer wieder für spektakuläre Protestaktionen wie jener in der Kirche, wo die erklärten Atheistinnen die Mutter Gottes anriefen, sie möge Russland von Putin erlösen. Ein anderes Mal rockten die Feministinnen, wie immer vermummt, vor der Präsidentenwahl auf dem Roten Platz "Aufstand in Russland". Als die Polizei anrückte, verschwanden die Frauen so schnell, wie sie gekommen waren. Jederzeit und überall zuschlagen zu können - diese Taktik macht Proteste unberechenbar -, das soll die Mächtigen verunsichern. Vor strafrechtlicher Verfolgung konnte sich die Band mit diesem Katz- und Maus-Spiel allerdings nicht schützen. Der Staat hat vorerst gesiegt: Die legendären Spontanauftritte schliefen nach der Verhaftung der drei Bandmitglieder rasch ein.
Auf nackten Aktionismus als neuer Ausdrucksform des Widerstandes setzen seit drei Jahren die Feministinnen von Femen in der Ukraine. Hatten die Blondinen in den Anfängen ihre Hüllenin der Öffentlichkeit ausschließlich aus Protest gegen Machismus, die Pornoindustrie oder den Sextourismus fallen, dehnten sie das Spektrum ihrer Oben-ohne-Proteste später auch auf andere Themen aus. So setzten sie ihre nackten Brüste etwa gegen Demokratiedefizite in ihrem Land oder auch gegen erhöhte Gaspreise oder die Wirtschaftskrise ein. Ins Visier geriet vorige Woche auch der russisch-orthodoxe Patriarch anlässlich seines Besuchs in Kiew. Eine barbusige Femen-Aktivistin stürzte sich bei dessen Ankunft auf ihn. "Raus!", brüllte sie den Kirchenführer an, bevor die Polizei eingriff. Ihre Botschaft trug sie auf dem Rücken: "Kill Kirill", stand dort gut leserlich. Der Protest richtete sich gegen Versuche der russisch-orthodoxen Kirche, ihren Einfluss in der Ukraine auszuweiten. Aber auch gegen die Inhaftierung der Musikerinnen von "Pussy Riot" in Russland richtete sich die Aktion. Patriarch Kirillhatte sich für eine harte Bestrafung der seit März in U-Haft sitzenden Russinnen starkgemacht. Dass Femen nackt auftritt, sorge für ein besseres mediales Echo, gab eine der Vertreterinnen erst kürzlich unumwoben zu. Ganz unumstritten ist die Frauengruppe aber nicht, die es bereits auf das Titelbild von "Emma", dem Magazin der deutschen Altfeministin Alice Schwarzer, geschafft hatte. Denn Femen finanziert sich unter anderem dadurch, dass die Aktivistinnen Gipsabdrücke ihrer Brüste an Interessenten verkaufen. Viele Gesinnungsgenossinnen sehen darin einen Verrat an der Sache.
Teddybären über Minsk
Auf einen eher ungewöhnlichen Akt des Aktionismus setzte jüngst auch die schwedische Agentur Studio Total. Sie charterte ein Kleinflugzeug und ließ über der weißrussischen Hauptstadt Minsk Flugzetteln samt Teddybären abwerfen. Auf den Flugblättern wird die mangelnde Presse- und Meinungsfreiheit unter Diktator Alexander Lukaschenko angeprangert. Das Regime reagierte verstört.