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Die neue Lust der ÖVP am Wagnis

Von Reinhard Göweil und Walter Hämmerle

Analysen

Analyse: Die Volkspartei könnte die Koalition mit der SPÖ vorzeitig beenden, um das Bundeskanzleramt zu erobern.


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Wien. "Wir brauchen einen handlungsfähigen Partner auf Bundesebene, der sich mit den bevorstehenden Herausforderungen für das Land statt mit sich selbst beschäftigt." Also sprach Gernot Blümel, ÖVP-Generalsekretär.

Der Satz sticht tief ins Fleisch der SPÖ. Denn darin steckt eine erstaunlich unverhohlene Botschaft: Wenn es der SPÖ nicht bald gelinge, ihre internen Probleme in den Griff zu bekommen, dann, ja dann könnte sich die Volkspartei gezwungen sehen - leider, leider -, aufgrund des handlungsunfähigen Partners die Koalition aufzukündigen. Nur zum Wohle des Landes selbstverständlich, aber eben doch. Und dass in der aktuellen Unübersichtlichkeit der Innenpolitik alle Szenarien durchgespielt werden, verwundert kaum.

"Fliegend" oder Neuwahl?

Was hieße "die Koalition aufkündigen" für die ÖVP? Entweder ein fliegender Wechsel hin zur FPÖ oder vorzeitige Neuwahlen, sollte sich FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache dem politischen Eheantrag der Schwarzen verweigern. Strache lehnt dies bisher ab. Gestern nach dem Ministerrat erteilte auch ÖVP-Obmann und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner einem fliegenden Wechsel "derzeit" die Absage.

Dementis dieser Art gehören allerdings auch zum Alltagsgeschäft von Parteien und Politikern (und tragen, nebenbei gesagt, zur Zerstörung von deren Glaubwürdigkeit bei). Mitunter fehlt einfach nur der richtige Zeitpunkt oder das triftige Argument für den Absprung. Handlungsunfähigkeit der SPÖ könnte ein solches sein (wie vor den Neuwahlen 2008), oder aber auch, weil bei den Pensionen mit der SPÖ nichts weitergeht (damit versuchte es die ÖVP 1995).

Nahrung für das lodernde Spekulationsfeuer sind die jüngsten Wanderungsbewegungen von Mandataren des Team Stronach zur ÖVP. Den Anfang machten vergangene Woche Markus Franz und Georg Vetter. Demnächst wechselt Rouven Ertlschweiger von Stronach zur ÖVP, das pfeifen die Spatzen vom Parlamentsdach. Dann hätte die ÖVP bereits 50 Abgeordnete - und zusammen mit den 40 von der FPÖ verfügten beide zusammen über 90 - fehlten nur noch zwei zur geringstmöglichen Mehrheit im Nationalrat. Weitere Wechsel-Kandidaten im Team Stronach gibt es für die ÖVP nach wie vor.

Im Kern geht bei all dem um die Frage, wie die Parteien für sich das Optimum aus der akuten Schwächephase der SPÖ herausholen können. Und um das richtige Timing, schließlich stehen in Oberösterreich (27. September) und Wien (11. Oktober) zwei für beide Regierungsparteien eminent wichtige Wahlgänge an.

Für ein schnelles Handeln der ÖVP spricht, dass die SPÖ derzeit ziemlich von der Rolle ist. Derzeit verfügt die Partei nicht einmal über einen Bundesgeschäftsführer. Entscheidend ist aber die Strategie der FPÖ. Die hat zwar einen fliegenden Wechsel zur ÖVP ausgeschlossen, aber womöglich erliegt sie doch einem verlockenden Angebot zum Mitregieren. Vor allem, weil es auch im Falle eines FPÖ-Wahlsiegs bei Neuwahlen praktisch auszuschließen ist, dass Strache einen Partner findet, der ihn zum Bundeskanzler kürt.

Das Risiko der ÖVP liegt darin, dass sich das Szenario vom Sommer 2008 wiederholt: Damals kündigte ÖVP-Chef Wilhelm Molterer in voreiliger Siegesgewissheit die Koalition auf ("Es reicht"). Die so überrumpelte SPÖ reagierte prompt und ersetzte den amtierenden Kanzler Alfred Gusenbauer durch den damals unverbrauchten Werner Faymann. Das Ergebnis ist bekannt: Die SPÖ blieb Nummer eins, Rot-Schwarz regiert bis heute - und Faymann überlebte drei ÖVP-Obmänner.

Mitterlehner ist ehrgeiziger

Nun hat sich Ausgangslage geändert: Mitterlehner führt in Umfragen in der Kanzlerfrage deutlich. Und Mitterlehner, der im Dezember seinen 60. Geburtstag feiert, ist ehrgeiziger, als es Wilhelm Molterer 2008 war. Er will der ÖVP das Kanzleramt unbedingt "zurückholen". Und ist deshalb kaum willens, bis zum Ende der Legislaturperiode 2018 nichts zu tun. Sollte die SPÖ bis dahin entweder ÖBB-Chef Christian Kern oder Turner-International-Chef Gerhard Zeiler als Parteichef und Kanzler installieren, wäre dies für die ÖVP gefährlich. Beide Manager könnten urbane Wähler und Wirtschaftstreibende - wie Franz Vranitzky - zur SPÖ zurückholen. Mitterlehners Wahl-Aussichten würden sich nicht verbessern.

Politbeobachter schließen den riskanten Paukenschlag vor der Oberösterreich-Wahl aus. Die SPÖ jedenfalls würde wohl am falschen Fuß erwischt. Im SP-Präsidium Montag Abend wurde ein möglicher Absprung der ÖVP nicht einmal diskutiert.