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Die neue Schengen-Außengrenze belastet nun die Balkan-Staaten

Von Christian Wehrschütz

Analysen

Die Stadt Görz im italienisch-slowenischen Grenzgebiet macht die historische Dimension des Falls der EU-Binnengrenzen besonders deutlich. Im Ersten Weltkrieg wurde Görz durch Artilleriebeschuss schwer beschädigt, und am Isonzo fielen in insgesamt zwölf Schlachten rund 210.000 Italiener sowie 150.000 Soldaten der österreichisch-ungarischen Monarchie. Insgesamt waren in die Kämpfe am Isonzo 22 Völker involviert.


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Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs 1918 bei Italien verlor Görz nach dem Zweiten Weltkrieg sein Hinterland und wurde zur Grenzstadt. Die Grenze durchschnitt Weingärten und auf slowenischer Seite wurden viele Bauern enteignet. Im Jahr 1948 gründeten die Slowenen dann Neu-Görz.

Vor 15 Jahren begann die Zusammenarbeit zwischen Slowenien und Italien, die durch den EU-Beitritt des exjugoslawischen Staates am 1. Mai 2004 neue Impulse erlebte. Nun gibt es einen gemeinsamen Autobus, am Vormittag sitzt ein Slowene hinterm Lenkrad, am Nachmittag ein Italiener. Wer ein Abonnement im einen Theater hat, bekommt im anderen Ermäßigungen. Ausstellungen haben zweisprachige Texte. Doch zur gemeinsamen Vermarktung des enormen touristischen Potenzials kam es bisher nicht. Die Grenze in den Köpfen sitzt tief, obwohl nun zunehmend auch Italiener Slowenisch lernen.

Während somit zwischen Italien und Slowenien die (geistige) Grenze verschwindet, ist die Grenze zu Kroatien zu einer EU-Außengrenze geworden. Gemildert wird dieser Umstand dadurch, dass die Kroaten für die EU keine Visa benötigen, obwohl der Streit um die ungeklärte Grenze zwischen Slowenien und Kroatien ein sehr heikles Thema ist, das den Beitritt Kroatiens zur EU zunehmend belastet.

In der Praxis noch belastender wirkt sich die neue Schengen-Grenze jedoch auf die übrigen Staaten des Westbalkan aus. Zwar sollen für Bosnien, Montenegro und Serbien demnächst Visa-Erleichterungen für spezielle Bevölkerungsgruppen - etwa für Studenten, Wissenschafter und Unternehmer - in Kraft treten, doch das Gefühl der Isolation ist in all diesen Staaten sehr groß. Man versucht daher nun das Visa-Regime zu umgehen, etwa dadurch, dass Mazedonier plötzlich bulgarische Wurzeln bei sich entdecken und die bulgarische Staatsbürgerschaft erwerben, ungeachtet dessen, dass Bulgarien nicht zum Schengen-Raum zählt.

Bei aller Freude über die Ausdehnung des Schengen-Raumes sollte somit nicht vergessen werden, dass vor dem EU-Beitritt auf dem Westbalkan noch ein großes Stück Arbeit wartet. Denn selbst wenn der Status des Kosovo demnächst friedlich gelöst werden sollte, wird es Jahrzehnte dauern, bis die (geistige) Grenze zwischen Serben und Albanern jenes Niveau erreicht hat, das nun in Görz zwischen Italienern und Slowenen erreicht worden ist.