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Die neue Seidenstraße

Von Waldemar Hummer

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Waldemar Hummer ist Universitätsprofessor für Europa- und Völkerrecht an der Universität Innsbruck. Foto: privat

Südlicher Korridor, neue Seidenstraße und Nabucco - diese Projekte mit blumigen Namen sollen der Europäischen Union dabei helfen, ihre Energieabhängigkeit zu vermindern.


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Am 8. Mai 2009 fand in Prag ein Gipfeltreffen zum Thema "südlicher Korridor - die neue Seidenstraße" statt, bei dem es vor allem um einen besseren Zugang der EU zu den Gasvorkommen im kaspischen Raum und im Nahen Osten ging.

Das Treffen wurde im sogenannten "Troika-Format" veranstaltet: Die EU war nicht durch die Staats- und Regierungschefs aller Mitgliedstaaten, sondern durch die Ratspräsidentschaft, den Kommissionspräsidenten und den Generalsekretär des Rates und Hohen Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik vertreten. Aserbaidschan, Ägypten, Georgien, Kasachstan, die Türkei, Turkmenistan und Usbekistan nahmen als potenzielle Liefer- oder Transitländer teil, die Ukraine, die USA und Russland wiederum waren als Beobachter geladen.

Bedenkt man, dass etwa 25 Prozent des europäischen Erdgasbedarfs zurzeit aus Russland gedeckt werden und der Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine im Jänner 2009 dazu führte, dass Millionen EU-Haushalte ihre Wohnungen nicht mehr heizen konnten, dann erscheint es mehr als verständlich, dass die EU nach einer neuen Energiepartnerschaft Ausschau hält und alternative Quellen der Gasversorgung anzapfen will. Dazu bedarf es zunächst des Baues einer Gas-Pipeline als Transportmittel. Das Projekt läuft unter dem Namen "Nabucco".

Die Nabucco-Pipeline

Die Nabucco-Pipeline stellt ein bewusstes Alternativprojekt zu den russischen Gazprom-Pipelines North Stream (durch die Ostsee) und South Stream (zur Versorgung Südeuropas) dar.

Sie soll ab 2014 über 3300 Kilometer Entfernung Gas vom Kaspischen Meer - unter Umgehung Russlands und der Ukraine - über die Türkei, Bulgarien, Rumänien und Ungarn nach Österreich transportieren. Dafür wäre allerdings ein Baubeginn spätestens 2011 nötig, nachdem dieser ursprünglich bereits für 2008 geplant war.

Das Nabucco-Projekt, an dem auch die österreichische OMV beteiligt ist, wird schätzungsweise acht Milliarden Euro kosten.

Anfänglich sollen etwa zehn Milliarden Kubikmeter und langfristig 31 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr geliefert werden, wobei als einziges zuverlässiges Lieferland bislang nur Aserbaidschan am westlichen Ufer des Kaspischen Meeres anzusehen ist. Auf längere Sicht könnten nach Aussage des EU-Energiekommissars Andris Piebalgs etwa fünf Prozent des europäischen Gasbedarfs durch die Nabucco-Pipeline bezogen werden.

Der tschechische Ratsvorsitzende Mirek Topolanek verglich die Energiepartnerschaft euphorisch mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl im Jahre 1951, "da heute Gas und Öl das Gegenstück zu Kohle und Stahl sind". Zum ersten Mal sei es gelungen, eine gemeinsame Erklärung von Verbraucher-, Transit- und Produzentenländern auszuarbeiten.

Hintergedanken

Die Abschlusserklärung des Prager Gipfels wurde allerdings neben der EU nur von der Türkei, Ägypten, Georgien und Aserbaidschan unterzeichnet, wohingegen Kasachstan, Usbekistan und Turkmenistan ihre Unterschrift verweigerten.

Die Türkei gab auch eine Verwendungszusage ab, in Kürze ein Regierungsübereinkommen zum Bau der Pipeline von der Türkei nach Griechenland unterzeichnen zu wollen. Im Gegenzug erwartet sie sich offensichtlich die Eröffnung des Energiekapitels in den gegenwärtig stockenden Beitrittsverhandlungen mit der EU.

Der EU geht es bei dieser Partnerschaft nicht nur um Energiesicherung, sondern sie hofft auch, dass sich durch diese Zusammenarbeit regionale Konflikte, wie etwa der zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Region Berg-Karabach, leichter lösen lassen.