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Not lehrt nicht nur beten, sondern auch schärfer hinschauen. Dabei bekommt die vermeintliche Realität, in der wir uns einrichteten, plötzlich ein anderes Gesicht.
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Die Crux bei der Bewertung "historischer Ereignisse" besteht darin, dass zumeist erst die Nachkommen erfahren, wie historisch das alles wirklich war. Bis zum eigenen Lebensende behilft man sich mit hypothetischen Annahmen, die leider mit dem gesunden Verdacht unterfüttert sind, dass die kopernikanischen Wenden auch nicht mehr das sind, was sie einmal waren.
Also lassen wir es bei der Hypothese: Wir leben in einer neuen Zeit der Aufklärung, denn seit der alten oder gar den Gehirnblitzen der Renaissance-Menschen ist es schon zu lange her. Es musste so kommen.
Beispielsweise siecht derzeit der gesunde Glaube nicht nur an die Banken, sondern gleich an den ganzen Finanzkapitalismus dahin, während andererseits das feierliche Leichenbegängnis für die Bestattung des Molochs Staat abrupt und weltweit gestoppt wurde. Erinnern Sie sich noch - ach, die Zeit ist so kurzlebig - an Sätze wie: Mehr privat, weniger Staat"? Der Slogan hat in Österreich sogar zum Versuch geführt, eine "private Säule" der Altersversorgung zu errichten, die so nebenbei wie eine Karyatide das Gebälk der österreichischen Börse tragen sollte.
Tand, Tand ist das Gebild von Menschenhand. Der Staat, ausgemergelt und ausgesogen durch clevere Pyramidenspieler, die zu wissen glaubten, wie man es in der Geldwelt macht, ist jetzt plötzlich der letzte Nothelfer. So gesehen wirkt die Hinterseite der Aufklärung geradezu wie eine Gegenreformation. Das Staatsbarock wird allseits restauriert.
Apropos barock. Das hätte auch niemand angenommen, dass es so schnell kommt: das Eingeständnis eines Papstes, er habe sich irgendwie geirrt. Weiß schon, an der Stelle darf man auf die Unfehlbarkeit des Stellvertreters auf Erden nicht Bezug nehmen, sie ist anders gemeint. Aber erinnert man sich an einen Papst, der so wie Benedikt XVI. zuerst mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel telefoniert und nach einigen Wochen Nachdenkens in einem offiziellen Dokument einen Satz mit den Worten beginnt: "Eine für mich nicht vorhersehbare Panne bestand darin.. .".
Allein die Vorstellung, dass ein Papst nicht nur spontan zum Telefon greifen kann, sondern den zahllosen Würdenträgern seiner engeren Umgebung rät, sie sollten öfter ins Internet schauen, hat einen Effekt, den nur die Vorsehung bewirkt haben kann. Der Glaube an die Weisheit der Kirchenoberen müsste jetzt eigentlich wachsen, wenn der Alleroberste Einsicht zeigt. Bei der erwähnten Finanzmarktordnung ist leider beides umgekehrt.
So reihen sich die kleinen und größeren Wunder aneinander, verschieben Perspektiven und schärfen den Blick der Menschen auf eine Realität, die sie offenbar bisher nicht wahrgenommen haben. Es musste erst wieder ein Attentat in Nordirland geben, um sich zu erinnern, dass der blutige Bürgerkrieg bereits seit elf Jahren als beendet galt. Und es musste ein farbiger US-Präsident gewählt werden, damit die USA gegenüber den Russen zugeben, dass sie auf eine Raketenabwehr mitten in Europa verzichten könnten.
Kein Zweifel, vieles funktioniert plötzlich anders, als es vorher geglaubt oder gepredigt wurde. Sogar das Bankgeheimnis.
Ist es gar Fortschritt? Gemach, gemach. Auch die Erkenntnisse von heute sind oft die Irrtümer von morgen. Eine wertneutralere Erklärung ist besser: Wendezeit. Fortschritt wird daraus erst dann, wenn das Wunder geschieht, dass aus allen aktuellen Krisen die richtigen Lehren gezogen werden.