Laxe Geldpolitik ist nicht Ursache für neue Spekulationen. | Rohstoffmarkt und Währungen sind besonders anfällig. | Kein effizienter Welthandel, solange Währungen extrem schwanken. | "Wiener Zeitung": Die Finanzkrise hat auf internationaler Ebene zu neuen Institutionen geführt. Sehen Sie die Gemeinschaft der 20 größten Wirtschaftsnationen (G20) als Fortschritt?
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Heiner Flassbeck: Die G20 sind zu klein. Als UNO-Vertreter sage ich, dass die G192 das Richtige wären. Handhabbare Gremien sind notwendig, aber ich glaube, dass 20 Länder zu wenig sind. Die Amerikaner und Europäer wollen ihr Währungssystem erhalten und die Entwicklungsländer können nicht so mitreden, wie man sich es erhoffen würde.
Waren die Regulierungen bisher nicht ausreichend?
Insgesamt ist in Sachen Re-Regulierung der Finanzmärkte unglaublich wenig passiert. Wir leben ja in einer neuen Bubble-Welt. An den Aktien-, Rohstoff- und Währungsmärkten bauen sich gerade neue Blasen auf. Wenn die platzen, bin ich gespannt, wie die Regierungen reagieren werden.
Mitte März hat die neue Blase eingesetzt - und sie ist weiterhin ohne jede Kontrolle am Laufen. Wir reden uns ein, das sei der Vorbote des Aufschwungs. Man kann aber nachweisen, dass das nicht der Fall ist.
Hat diese Blase mit dem derzeit extrem billigen Geld durch die niedrigen Notenbankzinsen zu tun?
Nein, diese Theorie war schon immer falsch. Für die Gewinne, die man sich an diesen spekulativen Märkten verspricht, ist die Frage, ob der Zins null oder ein oder zwei Prozent beträgt, vollkommen uninteressant.
Wenn ich 15 Prozent Rendite erwarte, ist die Frage, ob der Zins, den ich für den Kredit zahle, den ich aufnehmen muss, um zu leveragen (die Rentabilität einer Anlage mittels Kreditaufnahme erhöhen, Anm. d. Red. ), zwei oder drei Prozent ist, uninteressant.
Der entscheidende Punkt ist, dass sich an diesen Märkten Gewinnerwartungen bilden, die sich auf Dauer nicht halten lassen. Das ist alles ein Madoff-Spiel: Es entsteht ein Schneeballsystem, dem es gelingt, die Preise hochzutreiben. Das passiert jetzt gerade mit Rohstoffpreisen, Aktien und Währungen.
Solange die Preise steigen, sieht es so aus, als würden die Investoren reale Gewinne machen. Nur dass die reale Wirtschaft am Ende diese Preise nicht verkraften kann, bedenkt keiner. Irgendwann muss das natürlich platzen. Zum Beispiel schwimmt die Welt zurzeit im Öl, Raffinerien fahren ihre Kapazitäten zurück, und dennoch steigt der Ölpreis. Das ist reine finanzielle Spekulation.
Wir würden von der Geldpolitik aber zuviel verlangen, wenn wir von ihr das Verhindern dieser Blasen fordern. Geldpolitik muss sich um die Realwirtschaft kümmern. Der einzige Ausweg ist, dass wir Geldpolitik wie bisher machen, aber per Regulierung dafür sorgen, dass solche Blasen nicht mehr entstehen.
Sie sprechen von einer Regulierung der Finanzmärkte.
Ja, auf den Finanzmärkten kann man ganz vieles tun. Man kann ein neues globales Währungssystem schaffen, um Währungsspekulationen - wie sie zum Beispiel in Osteuropa aufgetreten sind - von vornherein zu beseitigen.
Wie könnte so ein Währungssystem aussehen?
Zum Beispiel wie das Bretton-Woods-System oder wie das europäische Währungssystem. Das war kein schlechtes System. So etwas muss man auch den Entwicklungsländern anbieten. Es ist mir unbegreiflich, dass die Europäische Union in der internationalen Diskussion überhaupt keine positive Position für die Entwicklungsländer bezieht.
Wir können auf der Welt kein effizientes Handelssystem haben, wenn wir kein effizientes Währungssystem haben. Währungsschwankungen - also Schwankungen der Wettbewerbsfähigkeit von 20 oder 30 Prozent - sind Bewegungen, die viel größer sind als irgendwelche protektionistischen Maßnahmen, die die Länder ergreifen können.
Das zerstört effizienten Handel mehr als irgendetwas anderes. Aber Sie sehen, wie ernst das genommen wird: Die Welt schaut weg. Freier Handel ist das wichtigste auf der Welt, aber dass dieser Handel eine Fiktion ist und wir massive monetäre Störungen haben, davon redet niemand.
Was muss auf den Rohstoffmärkten passieren?
Reine Rohstoffspekulationen gehören verboten. Wer nur Rohstoffpapiere kauft, ohne nachweisen zu können, diese Rohstoffe auch lagern zu können, der darf einfach keinen Rohstoffhandel betreiben.
Es ist nicht hinnehmbar, dass die Preise von irgendwelchen Spekulanten in die Höhe getrieben werden und die Menschen in den Entwicklungsländern hungern oder sterben. Das kann kein vernünftiger Mensch hinnehmen, dass hier ein paar Banken oder Investment--Fonds damit zum Teil großes Geld verdienen.
Wie könnten konkrete Gegenmaßnahmen aussehen?
In den USA wird im Gegensatz zu Europa eine ernsthafte Diskussion darüber geführt, wie man die wirklichen Rohstoffhändler von den Spekulanten abgrenzt. Es gibt eine Diskussion darüber, dass man Non-Commercial-Trading ( Spekulation, Anm. ) verbietet oder mit so hohen Zöllen oder Steuern belegt, dass es uninteressant wird.
Durch Spekulationen, egal ob bei Währungen oder Rohstoffen, wird das berühmte Spiel von Angebot und Nachfrage verzerrt und zur Farce gemacht.
Noch einmal zurück zum Währungssystem. Könnte eine Neuordnung auch im Rahmen des Währungsfonds (IWF) und der Weltbank passieren oder müsste man das ganz neu denken?
Wenn die ganz andere Aufgaben haben, ist es mir egal, wie die Institutionen heißen.
Aber die aktuellen Institutionen müssten dafür vermutlich reformiert werden.
Natürlich, so wie derzeit kann es nicht funktionieren. Ich habe da ein schönes Beispiel: Wenn bei uns jemand blutend auf der Straße liegt, fragt man: "Wer war das?" Diese Frage stellt man aber nur einem Rechtsstaat. Im Dschungel hingegen fragt niemand, "wer war das?" Dort fragt man, "wie kann ich dir helfen?"
Der IWF fragt nicht, "wer hat dir das angetan?" Die Regel beim IWF ist: Wer Schwierigkeiten hat, ist selbst Schuld. Ob da vielleicht die Währung massiv manipuliert und das Land in Schwierigkeiten getrieben wurde, danach fragt kein Mensch.
Zur PersonHeiner Flassbeck (58) ist seit fünf Jahren Chefökonom der UN-Handelsorganisation Unctad. Der Wirtschaftswissenschaftler war von April 1998 bis März 1999 Staatssekretär im deutschen Finanzministerium.