Dass der designierte Bundespräsident Van der Bellen als unabhängiger Kandidat ins Rennen ging, hatte seine Gründe. Grün-Wähler gibt es nicht genug. Um diese zu vermehren, müssten die Grünen einen schärferen Kurs einschlagen.
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Wien. 50,3 Prozent für einen ehemaligen Parteichef der Grünen. Ist die Ökopartei damit also mehrheitsfähig in Österreich?
Irgendwie schon, aber vielleicht (noch) nicht als Grüne. Schon Freda Meissner-Blau hatte es getan. Und Alexander Van der Bellen tat es wieder. Beide grünen Politiker traten formal als unabhängige Kandidaten zur Bundespräsidentenwahl an, obwohl das Gros der Unterstützung von den Grünen kam. Das Motiv dafür war vermutlich das gleiche: Sowohl 1986, als Meissner-Blau gegen den späteren Wahlsieger Kurt Waldheim, Kurt Steyrer (SPÖ) und Otto Scrinzi (FPÖ) antrat, als auch bei der heurigen Bundespräsidentschaftswahl hätte es schlicht und einfach nicht genug Grün-Wähler gegeben, um zu gewinnen.
Freilich war die Situation 1986 eine ganz andere, damals gab es noch zwei grüne Parteien (die Alternative Liste Österreichs und die Vereinigten Grünen Österreichs), die miteinander konkurrierten. Die Grüne Alternative wurde erst 1987 gegründet, die seit 1993 offiziell Die Grünen - Die Grüne Alternative heißt. Tatsache ist aber, dass auch der Sieg Van der Bellens am Montag nicht den Grünen allein zuzuschreiben ist. Viele wählten ihn als vertretbarere Alternative zu Norbert Hofer (FPÖ). Aber warum ist das so? Warum waren Österreichs Grüne - im Gegensatz zu Deutschland -noch nie Teil der Bundesregierung?
Ihr Problem sind und bleiben die Freiheitlichen, meint dazu Politikexperte Thomas Hofer. Die Grünen seien derzeit nur "eine relativ konstruktive Oppositionspartei - kommen aber nicht wirklich gegen die Freiheitlichen an, die alles schlecht finden". Ihre kompromissbereite Linie mit Blickrichtung auf die Regierungsbeteiligung habe ihre Ecken und Kanten abgeschliffen. Dass nun ein ehemaliger grüner Parteichef Bundespräsident ist, sei Fluch und Segen zugleich. Die Grünen positionieren sich damit laut Hofer noch enger in Regierungsnähe - wodurch die Oppositionskraft der FPÖ weiter an Stärke gewinnen könnte.
"Deutschen Grünen gelingt es besser, Themen aufzugreifen"
Um regierungs- oder sogar mehrheitsfähig zu werden, müssten die Grünen einen pointierteren, schärferen Kurs einschlagen. Sie müssten mehr FPÖ-Themen besetzen, so Hofer, oder auch beim Thema Bildung, mit dem sie beim Wien-Wahlkampf im Oktober des Vorjahres warben, "die Regierung deutlicher vor sich hertreiben".
Den Deutschen gelinge es viel besser, Themenfelder wie Umwelt oder Bildung aufzugreifen und davon zu profitieren, etwa beim umstrittenen Stuttgarter Bahnhofsprojekt Stuttgart 21. Damit erreichten sie auch ältere Wähler aus bildungsfernen Schichten, die auf dem Land leben, leichter, ergänzt der Politologe Peter Filzmaier.
In Deutschland sind die Grünen überhaupt schon weiter. Aus der Anti-Atomkraft- und Frauenbewegung der 70er Jahre und der DDR-Bürgerrechtsbewegung entstand die heutige Partei Bündnis 90/Die Grünen, der mit der Bundestagswahl 1983 der Durchbruch gelang. Zwischen 1998 und 2005 waren die Grünen Teil einer rot-grünen Bundesregierung. In Baden-Württemberg stellen sie seit Mai 2011 mit Winfried Kretschmann erstmals einen Ministerpräsidenten, der einer grün-roten Landesregierung vorsteht. Auf Landesebene sind sie an zahlreichen weiteren Regierungen beteiligt - die meisten grün-rot. Kretschmann sagte jüngst in einem Interview mit der "Welt am Sonntag", dass er die Grünen in die Mitte rücken möchte. Er propagierte ein bürgerliches Bündnis.
Auch die Grünen in Österreich sind nach Ansicht Filzmaiers "deutlich bürgerlicher, als sie wahrgenommen werden" - vor allem im Westen, wo zum Beispiel in Vorarlberg die Grünen seit 2014 mit der ÖVP koalieren. Allein Wien steche mit seinem links-liberalen Touch heraus.
Zwei Ausreißerihrer Parteien
Kretschmann und Van der Bellen seien sich jedenfalls in gewisser Weise ähnlich, so Filzmaier. Nicht nur vom Habitus her, beide seien auch "Ausreißer" ihrer Parteien. Van der Bellen einer, der für einen Beitritt zur EU eintrat. Kretschmann einer, der als industriefreundlich gilt. Beides Charaktere also, die sich eine Meinung jenseits jener ihrer Partei erlauben. Genau das macht aber offenbar den Reiz und das Charisma dieser Personen aus - und stellt letztendlich auch für die Grünen eine Chance dar.
Freilich, die Grünen würden auch in Österreich immer stärker, wie Bundesgeschäftsführer Stefan Wallner im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" ebenfalls betont. Mit Ausnahme von 1995 steigerten sie ihren Stimmenanteil bei Nationalratswahlen konstant und wurden 2006 mit etwas mehr als elf Prozent erstmals drittstärkste Partei im Nationalrat. Inzwischen sind sie in sechs der neun Landesregierungen vertreten. "Also wenn das nicht mehrheitsfähig ist, weiß ich auch nicht", sagt dazu Wallner. Einen grünen Bürgermeister oder eine grüne Bürgermeisterin gab es allerdings noch nie. Allein die heute Grüne Ulrike Böker war bis 2015 Bürgermeisterin von Ottensheim in Oberösterreich - als sie 2003 in dieses Amt gewählt wurde, war sie jedoch für die Bürgerliste pro Ottensheim angetreten.