Seit 1. Jänner dürfen nicht nur - nach dem Auslaufen des Transitvertrags und zur Freude der Wirtschaft - die internationalen Frächter praktisch ungehindert durch Österreich fahren und Lille sowie Genua sich "Kulturhauptstadt Europas" nennen. Das Jahr 2004 birgt aus europäischer Sicht auch eine historische Dimension: Am 1. Mai nimmt die Europäische Union zehn neue Mitgliedstaaten auf. Die nachkriegszeitliche Teilung des Kontinents soll damit überwunden werden. Am 13. Juni wählen dann erstmals die EU-25 das Europäische Parlament neu. Im Herbst steht die Neubesetzung der Kommission an. Darüber hinaus beginnen die Verhandlungen über die neue Finanzperiode 2007 bis 2013 der Union.
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Mit Slowenien, Ungarn, der Slowakei, Tschechien, Polen, Lettland, Estland und Litauen treten acht postkommunistische Länder sowie Zypern und Malta der Europäischen Union bei. Das sind rund 74 Millionen Menschen, die Gesamtbevölkerung der EU steigt damit auf etwa 450 Millionen.
Gleiches Recht für alle
Die beitretenden Länder bekommen innerhalb der EU rechtlich dieselbe Stellung wie Österreich, Frankreich oder Deutschland. So gelten unter den 25 Ländern ein Diskriminierungsverbot, der freie Warenverkehr oder im ländlichen Raum die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP). Für die zehn neuen Mitgliedstaaten sind alle EU-Regelungen ("acquis communautaire") ab Mai bindend. Einschränkungen sind durch die vereinbarten Übergangsfristen - etwa am Arbeitsmarkt, im Umweltschutz, bei Grunderwerb oder bestimmten Steuern - vorgesehen. Sofortigen Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt haben nur Zypern (790.000 Einwohner) und Malta (390.000 Einwohner). Für die anderen acht Neuen gilt eine bis zu siebenjährige Übergangsfrist.
Einige Übergangsfristen
Konkret heißt das: Die Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes bleiben aufrecht. Ein Pole beispielsweise, der nun in Österreich arbeiten will, muss sich genauso um eine Arbeitsgenehmigung kümmern, wie bisher. Ausgenommen sind lediglich Bürger der neuen Mitgliedstaaten, die schon länger als zwölf Monate legal hier arbeiten.
Da mit der Aufnahme in die EU ein Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) verbunden ist, entfällt auch für die neuen EWR-Bürger der in Österreich geltende Integrationsvertrag und somit der verpflichtende Deutschkurs. Aufrecht bleibt die Saisonnier-Regelung. Ein Ungar also, der in Ungarn lebt, aber in Österreich arbeitet, kann dies weiterhin tun, wenn er in das Kontingent aus dem Saisonnier-Modell fällt. Im Gegenzug haben die neuen EU-Staaten das Recht, ähnliche Regelungen für Österreicher auf ihrem Arbeitsmarkt vorzusehen.
Ohne gesonderte Genehmigung in Österreich aufhalten dürfen sich ab Mai drei Gruppen: Studierende, Pensionisten und selbstständig Erwerbstätige. Sie müssen sich lediglich bei der Fremdenpolizei einen Lichtbildausweis für EWR-Bürger besorgen. Hier nicht inkludiert sind Privatiers.
Zollkontrollen entfallen
Zollkontrollen an der Grenze fallen völlig. Einkaufsfahrten von Österreich in die angrenzenden EU-Staaten sind damit ohne Limit möglich. Einzige Einschränkung: Zigaretten. Denn den neuen Mitgliedstaaten wurde zugestanden, im Rahmen von Übergangsfristen ihre niedrigen Verbrauchersteuern auf Rauchwaren beizubehalten. Im Gegenzug hat Österreich das Recht, den Import von Zigaretten aus diesen Staaten weiterhin zu beschränken.
Personenkontrollen an den EU-Binnengrenzen bleiben nach wie vor aufrecht. Sie können laut dem Schengen-Abkommen erst entfallen, wenn die neuen EU-Staaten bestimmte Sicherheitsauflagen erfüllen. Dem Schengen-Raum werden sie daher erst in einigen Jahren beitreten.
Der freie Kapitalverkehr unter den EU-25 sieht zudem vor, dass Bürger aus den neuen EU-Staaten in Österreich Grund und Boden sowie Immobilien erwerben können. Für Österreicher, die etwa in Ungarn oder einem anderen neuen EU-Land einen Zweitwohnsitz kaufen wollen, gilt eine Übergangsfrist von fünf Jahren, für den Erwerb von land- und forstwirtschaftlichen Grundstücken eine Frist von bis zu sieben Jahren.
Personenkontrollen bleiben
In der Landwirtschaft werden die EU-Direktzahlungen innerhalb von zehn Jahren in den neuen Mitgliedstaaten schrittweise eingeführt. Die österreichischen Bauern haben dadurch keine Einbußen. Sofort in Kraft treten mit wenigen Ausnahmen die Veterinär- und Pflanzenschutzbestimmungen.
Trotz Neuverteilung des Budgets auf die EU-25 bleiben vorerst - zumindest bis Ende 2006 - die "Ziel 1"-Fördergebiete wie das Burgenland. Es erhält damit auch weiterhin Mittel aus dem Struktur- und Kohäsionsfonds. Die neuen Mitgliedstaaten gelten mit Ausnahme der Regionen Prag, Preßburg und der Insel Zypern alle als Ziel 1-Gebiet.
Im Jahr 2007 beginnt der neue Finanzrahmen (bis 2013; das EU-Budget wird traditionell über mehrere Jahre veranschlagt). Ein erster Vorschlag - zuständig ist die Kommission - wird noch diesen Monat erwartet. Wenn es ums Geld geht, spitzen sich erfahrungsgemäß die Verhandlungen bis zuletzt zu. Ein Beschluss der neuen Finanzperiode ist daher nicht vor 2006 zu erwarten, dann - im ersten Halbjahr - fällt der EU-Vorsitz turnusmäßig an Österreich.
Neuverteilung
Im heurigen Jahr sind die EU-25 zudem aufgerufen, im Juni das Europäische Parlament neu zu wählen. Angesichts der Erweiterung steigt die Zahl der Abgeordneten von 626 auf 732 und ist eine Umverteilung der Sitze notwendig. Österreich wird nur mehr 18 (derzeit 21) Europa-Abgeordnete stellen. Nachdem sich das neu gewählte Europa-Parlament konstituiert haben wird, muss es den Nachfolger von Romano Prodi als Kommissionspräsident wählen. Die neubesetzte Kommission soll ab November im Amt sein. Die Kandidatensuchen hat inoffiziell bereits begonnen.
Daneben sollen die Gespräche über die auf Eis gelegte EU-Verfassung fortgesetzt werden. Ob auf die rechtliche Vereinigung von 25 Staaten dieses Jahr noch politische Einigkeit über das europäische Grundgesetz folgen wird, ist offen.
Speziell aus der Sicht Österreichs wichtig sind auch - nach dem Ende des Transitvertrags - die bereits gestarteten Verhandlungen und Lobbyinggespräche über die EU-Mautregelung. Die "Wegekostenrichtlinie" dürfte frühestens 2005 in Kraft treten.