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Die Neuen legen vor

Von Alexander Dworzak

Politik

Erst sechs EU-Staaten haben sich festgelegt, wen sie als Kommissar nach Brüssel schicken. Vier jener Länder traten erst 2004 der Union bei.


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Brüssel/Wien. Im Schatten der bevorstehenden Wahl von Jean-Claude Juncker zum Kommissionspräsidenten nimmt die nächste Kommission Gestalt an. Allerdings nur langsam. Im Herbst muss sie vom Parlament bestätigt werden. Erst sechs der 28 Mitgliedsländer haben ihre Kandidaten nominiert: Deutschland, Estland, Lettland, Finnland, Malta und die Slowakei. Drei Auffälligkeiten stechen dabei hervor: Erstens, mit Ausnahme Deutschlands handelt es sich um kleinere Staaten, das knapp 420.000 Einwohner zählende Malta ist gar das mit Abstand kleinste EU-Mitglied. Zweitens ist der Norden bei der Nominierung deutlich schneller als die südlichen und mitteleuropäischen Staaten. Während in Portugal, Spanien, Italien, Griechenland und Zypern noch Ränkespiele um die Nominierung herrschen, haben die beiden baltischen Staaten Estland und Lettland sowie Finnland bereits Fakten geschaffen. Und drittens sind die EU-Newcomer diesmal wesentlich flotter bei der Auswahl ihrer Kandidaten. Von sechs feststehenden Kommissaren stammen vier aus Ländern, die erst im Jahr 2004 der Union beigetreten sind, nämlich Estland, Lettland, Malta und die Slowakei. Auch Finnland, das gemeinsam mit Österreich 1995 zur EU stieß, ist historisch betrachtet ein Newcomer.

Nur ein Gründungsmitglied der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft von 1958 ist darunter: Deutschland. Der konservative Energiekommissar Günther Oettinger bleibt in Brüssel. Ob der 60-jährige Schwabe sein Wunschdossier beibehält oder in ein anderes Ressort wechselt, steht jedoch noch nicht fest - wie auch die gesamte Ressorteinteilung unsicher ist. Klar ist jedoch, dass Deutschland, das in den vergangenen Jahren die unumstrittene Führung innerhalb der Union eingenommen hat, ein hochrangiges Ressort zufallen wird.

Hochkarätig sind viele der fixen kommenden Kommissare. Allen voran Jyrki Katainen. Der konservative Finne machte diese Woche Platz als Regierungschef, er legt gleich einen Blitzstart in Brüssel hin: Bereits mit 1. Juli ersetzt er seinen Landsmann Olli Rehn als Währungskommissar. Katainen hofft laut einem Bericht von "Dods EU Monitoring", das eine Kommissars-Kandidatenliste veröffentlicht hat, ab Herbst nächster Wirtschafts- oder Finanzkommissar zu werden.

Treffen der Ex-Premiers

Auf diese zwei Ressorts schielt auch Lettland, das mit Valdis Dombrovskis ebenfalls einen Ex-Premier ins Rennen schickt. Der 42-jährige Rechtsliberale gilt als Mastermind der Rettung Lettlands vor dem drohenden Staatsbankrott 2009. Im vergangenen Jahr übernahm Dombrovskis nach dem Einsturz eines Supermarkts in Riga mit 54 Toten die politischen Konsequenzen und trat zurück; bereits damals munkelte man, der Lette kokettiere mit einem EU-Posten. Die Riege der Ex-Regierungschefs komplettiert Andrus Ansip von der wirtschaftsliberalen Reformpartei. Er amtierte fast neun Jahre, trat im März zurück und war zum Zeitpunkt seines Abgangs der dienstälteste Regierungschef Europas.

"Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa" - das Klischee, wonach die Länder abgehalfterte und zweitklassige Politiker nach Brüssel abschieben, widerlegen die bereits nominierten Ex-Premiers somit eindrücklich. Über viel Erfahrung verfügt auch der Slowake Maros Sefcovic. Er ist 2010 Vizepräsident der Kommission und Kommissar für institutionelle Beziehungen und für Verwaltung und bleibt in Brüssel. Sefcovic ist kein Einzelfall, weitere Länder spielen mit dem Gedanken, ihren Kommissar nicht auszutauschen, haben das aber noch nicht offiziell bekanntgegeben. Dazu zählt Österreichs Regionalkommissar Johannes Hahn ebenso wie der Kroate Neven Mimica, der für Verbraucherschutz zuständig ist und der rumänische Agrarkommissar Dacian Ciolos.

Spannung verspricht das Rennen in den nach Deutschland größten Ländern. In Frankreich duelliert sich Ex-Finanzminister Pierre Moscovici mit Christine Lagarde, Direktorin des Internationalen Währungsfonds, dem früheren Premier Jean-Marc Ayrault und der ehemaligen Justizminsiterin Élisabeth Guigou. In Italien werden mit Mario Monti, Enrico Letta und Massimo D’Alema drei linke Ex-Regierungschefs gehandelt, dazu kommt noch die derzeitige Außenministerin Federica Mogherini. Mehr Frauen in der Kommission wünscht sich Juncker - Mogherini könnte eine von ihnen sein, möglicherweise als Nachfolgerin der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton. Auch Polens konservativer Außenminister Radoslaw Sikorski wird seit Langem für den Job gehandelt, dem früheren Finanzminister Jacek Rostowski werden aber ebenfalls Chancen eingeräumt. Spanien, das sich aus der Krise müht, bietet dem Vernehmen nach die beiden Minister Ana Pastor Julián und Luis de Guindos Jurado sowie Miguel Arias Cañete auf. Er führte den konservativen Partido Popular bei der Europawahl im Mai zum Sieg über die Sozialisten.

Und in Großbritannien muss David Cameron den Spagat zwischen seinen europaskeptischen Tories, der rabiat anti-europäischen UK Independence Party und seinem proeuropäischen Koalitionspartner der Liberaldemokraten schaffen. Er wählt wohl den moderat europaskeptischen Ex-Gesundheitsminister Andrew Lansley.