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Die neuen Torjäger

Von Klaus Huhold

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Ein Vorschlag für den Spieler des Turniers. Man wähle: den Verteidiger.


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Diego Maradona war bei dieser WM nur noch ein tragischer Clown, der zur Belustigung der Massen auf der VIP-Tribüne ein absurdes Schauspiel aufführte. Sonst gab es keinen Maradona. Nämlich in dem Sinn, dass kein einziger Akteur auch nur annähernd so herausragte wie der Jahrhundertfußballer beim argentinischen Titelgewinn 1986. Was die Frage, wer Spieler des Turniers wird, offen lässt. Zumeist wird es ein Akteur eines Teams, das im Finale steht. Somit sind Kroatiens Regisseur Luka Modrić oder Frankreichs Jungstar Kylian Mbappé Anwärter. Ein heißer Tipp ist auch N’Golo Kante, der defensive Mittelfeldmann der Bleus, der laut Paul Pogba "15Lungen" besitzt und fast jeden Angriff des Gegners abläuft. Oder es wird ein Tormann. Sowohl Elfmeterheld Danijel Subašićals auch Hugo Lloris mit seinen Paraden bieten sich dafür an. Generell würde es dem Charakter der WM entsprechen, den herausragenden Spieler in den defensiven Mannschaftsteilen zu suchen. Denn die meisten Teams waren mehr darauf bedacht, die Räume für den Gegner zuzustellen, als für sich welche zu öffnen, Tore zu verhindern, als welche zu schießen. Es sei daher ein Vorschlag unterbreitet. Zum Spieler des Turniers wähle man einfach: den Verteidiger. Und würdige somit die immer wichtigere Rolle, die diese Position einnimmt.

"Mein Name ist Finken, und du wirst bald hinken." So begrüßte ein deutscher Verteidiger seine Gegner, berichtete zumindest Max Merkel. Das fasst die frühere Rolle des Verteidigers in etwa zusammen. Er war ein Zweikämpfer, dessen Talent vielfach vor allem darin bestand, dem gegnerischen Stürmer wehzutun. Was sein Passspiel anbelangte, waren die Trainer nicht heikel. Ein blindes Vordreschen oder ein kurzes Zuspiel über fünf Meter genügten schon. Das harte Spiel ist auch dem heutigen Verteidiger nicht fremd, wie es etwa der Kroate Dejan Lovren Englands Stürmer Harry Kane spüren ließ (die Fifa förderte diese Gangart auch mit ihrer Linie, dass die Schiedsrichter offenbar nur dann gelbe Karten zeigen sollen, wenn der Notarzt kommen muss). Und noch immer ist es Grundaufgabe des Verteidigers, die gegnerische Offensive zu entschärfen. Mittlerweile sollte er aber auch technisch beschlagen sein. Er eröffnet nämlich die Spielzüge und muss daher, auch in großer Bedrängnis, präzise passen können. Bei dieser WM hat sich aber noch ein Aufgabenfeld aufgetan: das Toreschießen. Nachdem die Verteidiger selbiges bei Stürmern immer gekonnter verhindern, müssen sie es nun selbst erledigen. Immer mehr Treffer fallen nach Standards, und wer würde sich hier mehr als Abnehmer einer Flanke anbieten als der zumeist großgewachsene Innenverteidiger? In den vier Viertelfinal- und zwei Semifinalspielen erzielten Verteidiger sechs Treffer, und zwar allesamt bei Standards. Fünf Mal klingelte es nach einem Flankenball wie etwa bei Samuel Umtitis Siegtreffer gegen Belgien. Englands Kieran Trippier wiederum verwandelte gegen Kroatien sogar einen direkten Freistoß. Das hätte es früher auch nicht gegeben, dass Verteidiger Freistöße schießen. Die Stürmer erzielten in diesen Partien nur vier Tore.

Wenn das so weitergeht, wird sich irgendwann die Frage stellen, wozu man sie noch braucht. Vielleicht vor allem dafür, um die Verteidiger bei Standards zu bewachen.