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Dass Wohlstand für uns selbstverständlich ist, mag zur Krise der Politik beitragen. Statt Politikerschelte sollte man sich grundsätzlichen Fragen stellen.
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Das Ansehen der Politik befindet sich im Sturzflug. Vier von fünf Österreichern glauben, dass es 2013 weiter Schaden nehmen wird. Auch von den neuen Parteien kommen bisher nur allgemeine Floskeln. Steuern wir auf ein postdemokratisches oder - wie manche meinen - postrationales Zeitalter zu, in dem Politik nur noch Unterhaltungswert hat? Es wäre verkehrt, das Kind mit dem Bad auszuschütten. Nottut vielmehr, sich der Errungenschaften unseres materiellen Wohlstandes bewusst zu werden, der einen Ausbau der Sozialsysteme ermöglicht und wesentlich zur Stabilisierung der Demokratie beiträgt.
Dass wir all dies als selbstverständlich nehmen, mag zur aktuellen Krise der Politik beitragen. Anstatt einzustimmen in die allgemeine Politikerschelte, gilt es die grundsätzlichen Fragen wieder in den Blick zu nehmen. Denn unser Wohlstand wirft in der Tat Schatten. Die Mehrzahl der Menschen ist noch immer von ihm ausgeschlossen. Eine Milliarde Menschen leiden Hunger. Er basiert auf einer historisch einmaligen Ausbeutung der Natur und ihrer Ressourcen und ist nicht nachhaltig. Er führt auch bei denen, die er einschließt, nicht immer zu mehr Lebensqualität. Der Stress, hinauszufallen, steigt bei Unternehmen wie bei Belegschaften. Das Konkurrenzprinzip pervertiert sich zu permanenter Ausschlussdrohung. Und das System funktioniert offensichtlich nur noch mit eklatanter öffentlicher Verschuldung bei gleichzeitiger Anhäufung privater Vermögen. Weltweit gibt es fast 50 Billionen Dollar Staatsschulden. Zugleich parken Vermögende fast zwölf Billionen Dollar in Steueroasen. Der Soziologe Ralf Dahrendorf spricht von "Pumpkapitalismus". Überdies scheinen wir einem Wachstumszwang zu erliegen - ohne Wirtschaftswachstum gibt es keine Zukunft, so die Devise.
Die Erneuerung der Demokratie gelingt nur, wenn sie sich den zentralen Fragen des 21. Jahrhunderts stellt: Wie lässt sich eine Weltsozialpolitik angehen, die den Hunger überwindet und einen Ausgleich schafft zwischen Arm und Reich? Wie kann die Transformation hin zu postfossilen Volkswirtschaften gelingen? Und wie kann das Gemeinwohl in den reichen Ländern weiterhin gesichert werden, ohne die öffentlichen Haushalte in den Schuldenbankrott zu treiben?
Nötig sind eine global akkordierte Steuerpolitik, die dem Steuerwettlauf nach unten entgegenwirkt und Steueroasen austrocknet, sowie globale Regime für Ressourcenverbrauch und Umweltnutzung, aber auch neue Bilder von Wohlstand jenseits des Konsumismus und eine Umsteuerung der Wirtschaft dergestalt, dass nicht mehr die Güterströme wachsen, sondern immaterielle Güter wie Bildung, frei verfügbare Zeit, menschliche Beziehungen und Chancengerechtigkeit. Märkte mögen einzelwirtschaftlich effizient sein, sozial und ökologisch sind sie blind - die Kaufkraft gibt die Richtung vor. Dieses Defizit kann nur die Politik ausgleichen. Dieser allein die Schuld zu geben an den aktuellen Krisen, spielt aber genau jenen in die Hände, die sich gegen Veränderungen wehren, weil sie vom jetzigen System zunehmender Ungleichheit profitieren.