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"Die Neuverschuldung schränkt den Budgetspielraum des Staates nicht ein"

Von Bernd Vasari

Wirtschaft
Österreich verschuldet sich derzeit zu sehr günstigen Konditionen.
© Getty Images

Es sei nicht dringend, die Schulden abzubauen, sagt Ökonomin Margit Schratzenstaller.


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Die Schuldenquote in Österreich stieg beträchtlich in diesem Jahr. Das Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) rechnet 2020 mit einer Schuldenquote von 86 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bzw. 87 Prozent 2021. 2019 waren es noch etwa 70 Prozent. Wie sich die Schulden auswirken und ob sie zurückgezahlt werden müssen, erklärt Ökonomin Margit Schratzenstaller im Gespräch mit der "Wiener Zeitung":

"Wiener Zeitung": Frau Schratzenstaller, in der Corona-Krise lenkt der Staat die Wirtschaft. Er verteilt Zuschüsse, bürgt für Kredite, senkt Steuern und Gebühren. Doch der neue kraftvolle Staat wirft eine Menge Fragen auf: Wer zahlt das alles?

Margit Schratzenstaller: Die Corona-Hilfen sowie die Konjunkturstützungsmaßnahmen sorgen für umfangreiche Ausgabenerhöhungen sowie Verlusten an Steuereinnahmen. Zwei Drittel der Gesamtkosten der Krise werden durch diskretionäre Maßnahmen im Rahmen der Corona-Hilfen verursacht, ein Drittel durch die automatischen Stabilisatoren, schätzt der Fiskalrat. Diese Mehrausgaben und Mindereinnahmen finanziert der Staat durch die Aufnahme von Krediten. Dadurch entstehen Budgetdefizite, weil der Staat mehr ausgibt als er einnimmt, und der Schuldenstand erhöht sich.

Margit Schratzenstaller arbeitet seit 2003 im Forschungsbereich "Makroökonomie und Europäische Wirtschaftspolitik" am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo). Die Ökonomin war stellvertretende Leiterin 2006/2008 sowie 2015/2019. Sie ist Mitglied im Österreichischen Fiskalrat und der ÖGfE - Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik, Lehrbeauftragte an der Universität Wien, Mitglied im Kuratorium des Europäischen Forum Alpbach und des Zentrum für Verwaltungsforschung." 
© Alexander Mueller

Wer zahlt die Schulden des Staates?

Die Zinszahlungen, die für die Staatsverschuldung anfallen, müssen aus dem laufenden Haushalt geleistet werden, werden also letztlich von allen Steuerzahlern getragen. Allerdings verschuldet sich Österreich derzeit zu sehr günstigen Konditionen, sodass die steigenden Schulden nicht mit entsprechenden Mehrausgaben bei den Zinsen verbunden sind. Im Gegenteil: Heuer werden die Zinsausgaben trotz Rekordneuverschuldung und -schuldenstand einen historisch niedrigen Wert erreichen.

Woran liegt das?

Ebenso wie schon in den vergangenen Jahren laufen derzeit - und auch noch in den nächsten Jahren - eine Reihe von alten Krediten aus, die relativ hoch verzinst waren. Sie werden durch neue Schulden refinanziert, für die die Zinskosten praktisch Null sind. Die beträchtliche Neuverschuldung schränkt also den Budgetspielraum des Staates nicht ein. Es ist daher in dieser Krise nicht so dringend die Schulden zurückzuzahlen.

Die Ankaufprogramme der Notenbanken halten das Zinsniveau niedrig. Kann die Europäische Zentralbank (EZB) so viel Geld drucken, wie sie will, ohne dass es Konsequenzen hat?

Manche Beobachter befürchten, dass die starke Ausweitung der Geldmenge auf Dauer die Inflation anheizt. Allerdings ist ein Szenario einer stark steigenden Inflation derzeit sehr unwahrscheinlich, angesichts des Wirtschaftseinbruchs. Die Unternehmen halten sich mit Investitionen zurück, die Löhne steigen nur sehr moderat, die Konsumenten sind zurückhaltend beim Konsum und sparen derzeit sehr viel. Gleichzeitig gibt es keine Angebotsengpässe. Wenn aber nach der akuten Krise das Wirtschaftswachstum wieder stark an Fahrt aufnimmt, könnte die Inflation steigen, und damit auch die Zinsen. In einem gewissen Ausmaß muss das kein großes Problem sein, da sich gleichzeitig wegen des kräftigen Wirtschaftswachstums die Budgetsituation verbessert und damit auch die steigenden Zinsen budgetär bewältigt werden können. Allerdings hat die EZB-Politik wohl ihre Grenzen, irgendwann wird ein Kipppunkt erreicht. Wobei man kaum prognostizieren kann, wann dieser Punkt erreicht werden wird.

Ist es denn überhaupt notwendig, die Schulden abzubauen?

Solange die Corona-Krise sowohl gesundheitlich als auch ökonomisch nicht überwunden ist, ist die hohe Staatsverschuldung zur Finanzierung der Corona-Hilfen im Prinzip alternativlos. Denn die Alternative wäre ein noch massiverer Wirtschaftseinbruch, viele Unternehmenspleiten und eine Massenarbeitslosigkeit. Allerdings sollte die Staatsverschuldung, wenn die Krise vorbei ist, wieder zurückgeführt werden.

Warum sollte der Staat seine Schulden dann doch zurückzahlen?

Einerseits, um für eine etwaige nächste Krise wieder budgetären Spielraum zu schaffen. Eine Schuldenquote von siebzig Prozent, wie Österreich sie vor Ausbruch dieser Krise hatte, ist sicher eine bessere Ausgangsposition, um sich zur Krisenfinanzierung massiv zu verschulden, als eine Schuldenquote, die sich neunzig Prozent der Wirtschaftsleistung annähert. Dabei geht es auch um das Vertrauen der Gläubiger in die Fähigkeit des Staates, die Schulden bedienen zu können. Weiters sind die Zinsen derzeit zwar sehr niedrig, wenn sie aber in Zukunft wieder steigen, erhöhen sich mittelfristig auch die Zinskosten.

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Mit welchen Maßnahmen sollte der Staat nach Überwindung der Krise die Schulden abbauen?

Werden nach Überwindung der Krise Konsolidierungsmaßnahmen gesetzt, sollten sie wachstums- und beschäftigungsfreundlich sowie verteilungsbewusst ausgestaltet werden. Ausgabenseitig wäre es sinnvoll - und dafür können und sollen die Weichen durchaus jetzt schon gestellt werden - die großen Reformbaustellen zu bearbeiten.

Welche Reformbaustellen sehen Sie?

Notwendig sind längerfristige Reformen, etwa im Föderalismus oder im Fördersystem, durch die die langfristige Ausgabendynamik eingebremst werden kann. Auch die Verbindung von Konjunkturpaketen mit langfristigen Zielen, Stichwort grüne Investitionen, sowie eine wachstums- und beschäftigungsförderliche Abgabenstrukturreform, die die hohen Abgaben auf die Arbeit durch umweltbezogene Steuern, Einnahmen aus der Grundsteuer und einer Erbschaftssteuer sowie den Abbau von Steuerausnahmen ersetzt, kann zum ökologisch nachhaltigen Herauswachsen aus der Verschuldung beitragen.

Können die Schulden in absehbarer Zeit überhaupt abgebaut werden?

Das hängt von einer Reihe an Faktoren ab. Das Herauswachsen aus den Schulden kann, wie Berechnungen des Fiskalrats zeigen, einige Zeit dauern: Wenn ab 2022 jährlich ein ausgeglichener Haushalt und ein BIP-Wachstum von zwei Prozent erreicht werden können, dauert es bis 2029, bis die Schuldenquote wieder auf ihr Vorkrisenniveau von siebzig Prozent sinkt.

Die einen sind grundsätzlich gegen eine Staatsverschuldung, die anderen sehen kein Problem in einer unbegrenzten Staatsverschuldung. Ist die Schuldenfrage eine Glaubensfrage?

Für manche ist die Schuldenfrage in der Tat eine Glaubensfrage. Allerdings ist ein pragmatischer und sachlicher Zugang hilfreicher: Die derzeitige Staatsverschuldung zur Abfederung der sozialen und ökonomischen Konsequenzen der Corona-Krise ist alternativlos und es ist beruhigend, dass der Staat sich angesichts des niedrigen Zinsniveaus in der komfortablen Situation befindet, dass auch die aktuelle Rekordverschuldung die fiskalische Nachhaltigkeit nicht gefährdet. Sobald die Corona-Krise überwunden ist, sollte allerdings längerfristig ein Abbau der Staatsverschuldung angestrebt werden, wobei auch hier keine übereilten und kurzfristigen Konsolidierungspakete umgesetzt werden sollten, sondern vielmehr auf langfristige Reformen und auf eine ökologisch und sozial nachhaltige, stabile Entwicklung von Wachstum und Beschäftigung gesetzt werden sollte.

Zur Person~