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In der Vergangenheit sorgten die Befragungen der SPÖ für mehr Aufregung als Ruhe. Anderswo gehören sie zum Alltag.
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Statt den Iden des März habe es den Frieden des März gegeben, zeigte sich der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser nach dem SPÖ-Parteipräsidium mit dem Ergebnis doch noch zufrieden. In der Früh hatte er noch bezweifelt, ob überhaupt etwas Vernünftiges rausschauen kann beim Streit um die SPÖ-Führung zwischen Parteichefin Pamela Rendi-Wagner und Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil. Man einigte sich rudimentär auf eine Mitgliederbefragung mit anschließendem Sonderparteitag. Dort sollen die nicht bindenden Ergebnisse der Befragung in Stein gemeißelt werden.
Wie die Mitglieder entscheiden werden, steht freilich in den Sternen. Man wisse kaum etwas über die Parteibasis, sagt auch der Politikwissenschafter Laurenz Ennser-Jedenastik zur "Wiener Zeitung". Rendi-Wagner werden bei den Delegierten generell bessere Chancen zugesprochen. Aber: "Die Vermutung liegt nahe, dass das unter den Mitgliedern anders sein könnte, zu welchem Ausmaß, ist aber unklar", so Ennser-Jedenastik. Nur so viel scheint gewiss zu sein: "Mitglieder sind unberechenbarer, weniger organisiert und weniger steuerbar." Es gibt laut dem Politikwissenschafter auch eine empirische Evidenz dafür, dass die Basis ihre Entscheidung eher an Inhaltlichem ausrichtet, weniger an Wahltaktik.
Wahlergebnis zweitrangig
Das hat Vor- und Nachteile: So rückt der Gedanke an ein gutes Wahlergebnis in den Hintergrund. In einem Delegiertensystem ist das nicht so, da es vor allem der mittleren Funktionärsschicht zugutekommt. "Die Jobs von Partei-Eliten sind unmittelbar davon betroffen, ob man Wahlen gewinnt." Bei einfachen Parteimitgliedern sei das selten der Fall, so der Politikwissenschafter der Universität Wien.
Der inhaltliche Fokus führt dazu, dass Mitglieder oft Kandidatinnen und Kandidaten mit extremeren Positionen wählen. Als Beispiel nennt Ennser-Jedenastik Jeremy Corbyn von der britischen Labour-Partei. Aber auch Donald Trump setzte sich bei den Mitgliedern gegen den ursprünglichen Wunsch der republikanischen Parteifunktionäre durch.
Andererseits würden Parteien vor Mitgliederbefragungen aus diesen Gründen auch oft viele neue Mitglieder bekommen: "Solche Befragungen sind oft erst Gründe, um Parteimitglied zu werden", sagt Ennser-Jedenastik. Dieser Effekt dürfte sich bei der SPÖ allerdings in Grenzen halten. Nach derzeitigem Stand ist nämlich nur stimmberechtigt, wer bereits seit einem Jahr zahlendes SPÖ-Mitglied ist. Seit Doskozil seine Kandidatur bekanntgegeben hat, habe es im Burgenland trotzdem vereinzelte Parteibeitritte gegeben, berichtet die Landes-SPÖ.
Mitgliederbefragungen innerhalb der Sozialdemokratie sind keine Neuigkeit, sorgten in der Partei aber meist für mehr Aufregung als Beruhigung. Unter dem damaligen Chef Christian Kern sollte die Basis zuerst über das Handelsabkommen Ceta und später über eine anstehende Parteireform abstimmen. Nur: Bei der Ceta-Befragung nahmen so gut wie keine SPÖ-Mitglieder teil. Die, die sich beteiligten, waren dagegen. Kern stimmte trotzdem zu.
Wien verhinderte Reform
Bei der Parteireform hätten alle Mitglieder über Koalitionsabkommen abstimmen sowie Kandidaten mit einer Zweidrittelmehrheit bestätigen dürfen, die schon seit zehn Jahren im Amt sind. Die Basis stimmte dem neuen Grundsatzprogramm mit 85 Prozent zu, von rund 170.000 Stimmberechtigten gingen 38.000 zur Wahl.
Doch Kern trat kurz danach als SPÖ-Chef zurück und die Wiener SPÖ verhinderte die Parteireform trotz großer Zustimmung durch die Basis. Als Grund nannte der Wiener SPÖ-Chef Michael Ludwig eben jene Zehnjahresregelung. Die neue Parteichefin Pamela Rendi-Wagner sollte eine Reform erarbeiten, über die zwei Jahre später abgestimmt werden sollte. Was folgte, war interner Streit, der zu einer Art Kompromiss führte: Der Einfluss der Basis wurde minimiert, der Vorstand kann sie fortan bei Koalitionsübereinkommen überstimmen.
Eineinhalb Jahre später ließ Rendi-Wagner plötzlich über sich selbst abstimmen. Es war das erste Mal in der Geschichte der SPÖ, dass den Genossinnen und Genossen diese Frage gestellt wurde.
Ein weiterer Punkt, dass der Vorsitz künftig immer von den Mitgliedern gewählt werden sollte, überlebte den Entwurfstatus in der Vorstandssitzung nicht. Rendi-Wagner stand zu diesem Zeitpunkt schon gehörig unter Druck, nur die Unterstützung der Gewerkschaft, Wiens und ausgerechnet des Burgenlandes hielt sie die Monate davor im Amt. Die Mitgliederbefragung war eine Flucht nach vorne. Genau wie bei Doskozil am Dienstag, der sich von der Basis mehr Unterstützung erhofft als von den Funktionären. Ob er die hat, kann derzeit niemand sagen.
Vorbilder, wie Parteien bei wichtigen Entscheidungen auf Basisdemokratie setzen, gibt es im In- und Ausland. Die Grünen treffen wegweisende Entscheidungen auf ihrem Bundeskongress. Delegierte aller Landesorganisationen, Abgeordnete aus National- und Bundesrat sowie dem Europaparlament, Landtagsabgeordnete, Minister, Staatssekretäre sowie der Grüne Bundesvorstand stimmen hier gemeinsam über Kandidatenlisten und Programmatisches ab. Auch die Entscheidung zu einer Regierungskoalition mit der ÖVP musste den Bundeskongress passieren.
SPD-Befragung schon 1993
Ebenso geben die Neos ihrer Basis bei Mitgliederversammlungen auf Landes- und Bundesebene die Möglichkeit, Anträge einzubringen und über Kandidaten abzustimmen.
Waren es in Österreich bisher nur die jüngeren Parteien, die in diesem Ausmaß auf Basisdemokratie setzten, haben diesen Schritt im Ausland auch "alte" Parteien schon vor Jahrzehnten gewagt. 1993 entschieden die Mitglieder der SPD erstmals über den Parteivorsitz, 2019 wurde das Prozedere wiederholt. Der heutige Bundeskanzler Olaf Scholz unterlag gemeinsam mit Klara Geywitz in der Stichwahl Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans.
Auch die Mitglieder der britischen Conservative Party haben seit Ende der 1990er Jahre ein Mitspracherecht bei der Wahl ihrer Parteiführung. Die Basis darf zwischen jenen zwei Kandidaten wählen, die zuvor die meisten Stimmen von konservativen Parlamentariern sammeln konnten. Kurzzeitpremierministerin Liz Truss wurde so im September 2022 Regierungschefin. Allerdings zog nach ihrem Rücktritt ausgerechnet ihr in der Mitgliederbefragung unterlegener Konkurrent Rishi Sunak in die Downing Street 10 ein, diesmal mangels Gegenkandidat ohne eine neuerliche Konsultation der Parteibasis.