Orbán hat sich systematisch um Wahlsieg gebracht. | Ungarn hat zum ersten Mal seit der Wende 1989 einen amtierenden Premier nicht abgewählt. Eine kleine Sensation, denn auch in anderen Ländern MittelOsteuropas wird den Mächtigen am Wahltag zumeist die rote Karte gezeigt. Zu tun hat das mit den vielen schmerzhaften Einschnitten im Sozialbereich, die die jeweiligen Regierungen ihren Bürgern auf dem Weg zur Marktwirtschaft zumuten (müssen). So kann es als Zeichen demokratischer Reife gewertet werden, wenn die Magyaren diesmal nicht in den üblichen Bestrafungs-Reflex verfallen sind und Ferenc Gyurcsány weitere vier Jahre zur Umsetzung von Reformen geben haben.
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Geholfen hat dem Premier, dass Oppositionschef Viktor Orbán seine Chancen systematisch verspielt hat:
Da war zunächst einmal die empfindliche Niederlage, die Fidesz 2004 beim Auslandsungarn-Volksbegehren einstecken musste. Die Konservativen wollten damals per Volksentscheid durchsetzen, dass allen Auslandsmagyaren ungarische Pässe ausgestellt werden. Oppositionschef Orbán konnte zu Recht von der Popularität dieses Vorhabens überzeugt sein. Immerhin gilt fast allen Ungarn der Friedensschluss von Trianon 1920 als nationale Tragödie; Budapest verlor als ehemals gleichberechtigter Partner Wiens zwei Drittel seines Territoriums, etwa fünf Millionen Ungarn sahen sich ihrer Heimat beraubt. Dennoch musste Fidesz schmerzhaft erfahren, dass die Solidarität der Ungarn-Ungarn mit ihren ausländischen Landsleuten Grenzen hat. Die dort beginnen, wo die Sorge um den eigenen Besitzstand anfängt. Die sozialistische Regierung konnte die Wähler erfolgreich davon überzeugen, dass ein Ansturm mittelloser Ungarn aus armen Ländern wie der Ukraine auf ohnehin knappe Arbeitsplätze und Sozialleistungen drohe. Die Abstimmung scheiterte und Gyurcsány, der kurz zuvor den glücklosen Premier Peter Medgyessy abgelöst hatte, konnte seinen ersten Erfolg feiern.
In der Folge warb Orbán um Sympathien, indem er die regierende Großpartei mit den in Ungarn verhassten, ehemals allmächtigen Kommunisten gleichsetzte und auf die (unbedeutende) politische Rolle hinwies, die Gyurcsány während der KP-Diktatur gespielt hatte. Viktor Orbáns Anwürfe steigerten sich in ihrer Radikalität, als die Regierung der katholischen Kirche des Landes einige finanzielle Zuwendungen streichen wollte. Die Wähler hat der Fidesz-Chef damit nicht mobilisieren können.
Ein Grund für den Sieg Gyurcsánys liegt schließlich darin, dass Orbán das Ruder in letzter Sekunde mit illusorischen Wahlversprechen herumreißen wollte. Dass es Pensionserhöhungen nicht geben kann, wenn das Budgetdefizit auf eine Höhe von neun Prozent zusteuert, war der Mehrheit der Unggarn wohl klar. Der nun bestätigte Premier, der schon im Hinblick auf den anvisierten Beitritt zur Euro-Zone massive budgetäre Einsparungen vornehmen muss, hat sich mit derartigen Versprechungen zurückgehalten - und war damit glaubhafter.