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Die Normalität kommt trotz Corona-Impfung spät

Politik
Ohne Maske in der U-Bahn zu fahren wird wohl noch längere Zeit nicht möglich sein.
© viktor-forgacs

Mit einer Impfung verbindet sich das große Versprechen auf eine rasche Rückkehr zu Vor-Corona-Zeiten. Doch die Gesundheitsbehörden vieler Länder verabschieden sich schon demonstrativ von dieser Idee.


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Die Impfung galt in den vergangenen Monaten als der große Hoffnungsträger. Politiker rund um den Globus verknüpften mit ihr das Versprechen auf ein Ende der Corona-Krise, auf eine Rückkehr zur Normalität ohne Maske und ohne Angst.

Dass es in den nächsten Monaten eine Impfung gegen das Sars-CoV-2-Virus geben wird, ist unter Experten relativ unbestritten. Schließlich gibt es an die 180 Impfstoffkandidaten, von denen sich einige bereits im letzten Stadium der klinischen Prüfung und damit unmittelbar vor der Marktzulassung befinden. In den USA werde es vermutlich bereits Ende des Jahres einen Impfstoff geben, sagte der am New Yorker Mount-Sinai-Krankenhaus forschende österreichische Virologe Florian Krammer in der ORF-Sendung "Im Zentrum". In Europa dürften dann in den Monaten nach Jahreswechsel die ersten Impfstoffchargen zur Verfügung stehen.

Doch je näher die Marktzulassung der Impfstoffe rückt, um so deutlicher verabschieden sich auch die Gesundheitsbehörden vieler Länder von der Idee, dass mit einer Impfung quasi über Nacht die Vor-Corona-Zeiten zurückkehren. So geht etwa Kate Bingham, die Vorsitzende der britischen Impfstoff-Task Force, davon aus, dass es in Großbritannien keine Durchimpfung geben wird. "Es wird keine Impfung von Menschen unter 18 Jahren geben. Es ist ein Impfstoff nur für Erwachsene, für Menschen über 50 mit Schwerpunkt auf Mitarbeitern des Gesundheitswesens und im Pflegedienst sowie für Risikogruppen", sagte Bingham, in einem Interview mit der "Financial Times".

Bingham zufolge plant die Regierung daher, nur 30 der insgesamt 67 Millionen Briten zu impfen. Doch selbst das dürfte dauern. So gehen die britischen Gesundheitsbehörden davon aus, dass selbst bei einer massiven Konzentration von Ressourcen und Personal zumindest sechs Monate vergehen werden, bis alle, die geimpft werden sollen, zumindest eine erste Dosis erhalten haben. Entsprechend hat auch Premier Boris Johnson seine Landsleute eingestimmt. "Ich muss in aller Offenheit sagen, dass es bis Weihnachten weiterhin unruhig sein wird, vielleicht sogar darüber hinaus", sagte Johnson vor kurzem in einem Interview mit der BBC.

Viele Flaschenhälse

Ähnlich zurückhaltend hatten sich zuletzt auch Mitglieder der Ständigen Impfkommission in Deutschland geäußert. So wird es laut Klaus Überla, Virologe an der Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied der Kommission, in der Bundesrepublik zunächst bei Weitem nicht genug Dosen geben, um auch nur die Hälfte der Bevölkerung zu impfen. "Eine Zahl, die unter Fachleuten genannt wird, ist fünf Millionen Dosen", sagt Überla gegenüber der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Um Herdenimmunität zu erreichen, müssten nach Ansicht von Experten allerdings zumindest 60 Prozent der Bevölkerung geimpft werden, das entspreche in Deutschland knapp 50 Millionen Menschen.

Hinzu kommt, dass aller Voraussicht nach mehr als eine Dosis für jede geimpfte Person benötigt werden wird. "Die meisten Impfstoffe, die im Moment in der Entwicklung sind, brauchen zwei Dosen, damit sie wirken", sagt Fred Zepp, Epidemiologe der Universität Mainz. "Um alle Menschen in Deutschland zu impfen, brauchen wir dann mehr als 160 Millionen Dosen."

Bis eine relevante Menge an Impfstoffen verfügbar ist, könnten damit nach Einschätzung der Experten noch eineinhalb oder zwei Jahre vergehen.

Die Produktion der Dosen ist dabei längst nicht der einzige Flaschenhals. Auch die Lagerung des Impfstoffes - bei vielen Kandidaten dürfte dafür wohl große Kälte nötig sein - und dessen Verabreichung sind nach Darstellung mehrerer Mitglieder der Kommission so komplex, dass sie voraussichtlich in extra dafür einzurichtenden Impfzentren vonstattengehen müssen. Und Kindern und Jugendlichen wird der Impfstoff laut der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" zunächst voraussichtlich gar nicht verabreicht werden können. Denn die laufenden Wirksamkeitsstudien an Impfstoffen werden derzeit nur an einwilligungsfähigen Erwachsenen durchgeführt, womit es wohl in den der ersten Zeit keine Zulassung für Minderjährige geben wird.(rs)