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Die nukleare Option

Von Simon Rosner

Leitartikel

Sollte die Impflicht nicht wirken, wäre das der Super-GAU.


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Es war der Regierung angemessen unangenehm, den Entwurf für eine Impfpflicht zu präsentieren. Immerhin hatte die gesamte Politik stets einhellig betont, dass es keine Impfpflicht geben werde. Diese mantraartig vorgetragene Beruhigungspille für Ängstliche und Impfskeptiker mag gut gemeint gewesen sein, aber sie war auch ein Versprechen, das nun gebrochen wird. Ein Fehler? Sicher, aber auch einer, in den so gut wie alle Politiker in Europa hineingelaufen sind. Ihnen sowie auch sehr erfahrenen Impfexperten fehlte die Fantasie, dass es zu wenig Nachfrage nach dem schützenden Serum geben könnte.

Es ist eine der Lehren dieser Pandemie, dass das Unvorstellbare doch notwendig werden kann. Lockdowns wie in China? Undurchführbar in Europa! Maskenpflicht in der Öffentlichkeit? Würde die Bevölkerung hier nie akzeptieren! Impfzertifikate als Eintrittskarte fürs Wirtshaus? Eine Dystopie! Dann kam alles davon, weil es kommen musste.

Der Bundesregierung war in den vergangenen Tagen zu entnehmen, dass diese Erfahrung, sehr spät, aber doch, gesickert ist, dass ab sofort nichts mehr ausgeschlossen, alles für möglich gehalten und nichts mehr versprochen wird. Weil es dann eben womöglich doch nicht gehalten werden kann.

Es ist zu hoffen, dass die Politik diese Lehre nicht wieder vergisst, wenn der nächste parteipolitisch günstige Moment auftaucht, um vollmundige Versprechungen zu machen oder Slogans zu entwerfen, die auf "Alles wird bald gut" hinauslaufen. Das wird es nicht. Denn auch das ist eine Ingredienz der Unzufriedenheit und des Ärgers, der sich bei einigen in Form einer Abwehrhaltung gegen Maßnahmen äußert, auch gegen die Impfung. Es ist eine Minderheit, aber auch jene etwa insgesamt 10 Prozent, die sich in der Altersgruppe der über 60-Jährigen bisher nicht impfen lassen, reichen aus, um das Gesundheitssystem bei einer Infektionswelle an den Rand des Zusammenbruchs zu bringen. Das haben wir gerade wieder erlebt. Daher ist die Impfpflicht das gelindere Mittel im Vergleich zu weiteren Lockdowns oder einer Durchseuchung, die mit vielen Toten einhergehen würde.

Allerdings muss die Maßnahme, die als "ultima ratio" präsentiert wurde, funktionieren. Hier fehlen dem Entwurf Aspekte, auf die im Vorfeld hingewiesen wurde, etwa dass die Ausnahmen nicht chefarztpflichtig sind - ein Einfallstor für eine Durchlöcherung dieser Maßnahme. Sollten sich deshalb trotz Pflicht zu wenige impfen lassen, hätte die Regierung die nukleare Option gezogen, mit allerlei negativen Folgen, wie eben gebrochenen Versprechen, noch mehr Wut und Ärger, ohne aber eine ausreichende Wirkung dieser Maßnahme zu erhalten. Das wäre dann ein Super-GAU des Pandemiemanagements.