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Die offene Eingangstür für Keime

Von Roland Knauer

Wissen
Winzige dunkle Varroamilben saugen aus weißen Puppen von männlichen Bienen (links) und Arbeiterinnen Körpersäfte und können dabei Erreger übertragen.
© Helga R. Heilmann/HOBOS/Uni Würzburg

Im Puppen-Stadium sind Bienen auch harmlosen Erregern nicht gewachsen.


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Berlin. Mindestens seit 1967 gefährdet die aus Asien eingeschleppte Varroa-Milbe auch die Bienenvölker Europas. Wenn vom Bienensterben die Rede ist, fällt der Verdacht daher rasch auf diesen Parasiten mit dem zoologischen Namen Varroa destructor. Im Deutschen heißt das "zerstörerische Milbe". Bisher standen vor allem von diesen gerade einmal einen Millimeter großen Tierchen übertragene, gefährliche Viren in Verdacht, ganze Völker mit etlichen zehntausend Bienen zu vernichten. Als jetzt Hildburg Beier, Jürgen Tautz und ihre Mitarbeiter von der BEEgroup des Biozentrums der Universität Würzburg das Immunsystem der Bienen in der Online-Fachzeitschrift "PLOS ONE" genau unter die Lupe nahmen, kamen sie dagegen einer offenen Eingangstür für viel harmlosere Keime auf die Schliche.

"Weil bis zu fünfzigtausend Honigbienen in einem einzigen Stock dicht nebeneinander leben, könnten sie durch Infektionen und Epidemien stärker als Menschen gefährdet sein", schildert Jürgen Tautz theoretische Überlegungen. Tatsächlich aber finden Molekularbiologen im Erbgut dieser Insekten erheblich weniger Immun-Gene als bei anderen Insekten-Arten wie der Taufliege Drosophila. Möglicherweise ist das Abwehrsystem der Bienen gegen Infektionen also weniger komplex und die Insekten nutzen zusätzliche Mechanismen, um gefährliche Keime abzuwehren. So werden kranke Tiere rasch aus dem Stock entfernt. Auch gesunde Bienen geben ihren Kot, der Bakterien enthält, nur außerhalb des Stocks ab.

Versagen solche Abwehrstrategien, greift das Immunsystem im Körper der Insekten ein: Fresszellen vertilgen zum Beispiel gefährliche Eindringlinge und zerstören sie so. Daneben kann das Immunsystem Peptide herstellen, die im Haemolymphe genannten "Insektenblut" Mikroorganismen abtöten. Daneben kapselt der Bienenorganismus eingedrungene Bakterien in einem Nodulation genannten Vorgang ab und macht sie so unschädlich.

Solche Immunreaktionen finden Hildburg Beier und ihre Mitarbeiter bei jungen Arbeiterinnen, männlichen Bienen und auch bei der Königin. Allerdings entzogen sich bisher die Jugendstadien der Bienen einer Untersuchung des Immunsystems, weil sie gut geschützt im Inneren des Stocks ablaufen. "Die Bienenbrut ähnelt einem sozialen Uterus, in dem sich die erwachsenen Schwestern um den Nachwuchs kümmern", erklärt Jürgen Tautz: Genau wie ein Embryo im Mutterleib bei konstanter Temperatur wächst, halten auch die Bienen ihre Brut kontinuierlich bei 35 Grad Celsius. Während bei Säugetieren der Embryo über eine Nabelschnur mit allem Lebensnotwendigen versorgt wird, liefern die Bienen ihren als Larven und Puppen heranwachsenden jüngeren Geschwistern Nachschub.

Larven wissen sich zu wehren

Und genau, wie der Arzt sich vom Ungeborenen im Mutterleib nur mit speziellen Methoden wie Ultraschall und Fruchtwasser-Analysen einen groben Eindruck verschaffen kann, entzieht sich auch der Bienennachwuchs in abgeschlossenen Brut-Waben den neugierigen Forscheraugen und ihren Instrumenten weitgehend.

Genau das haben Hildburg Beier und ihre Mitarbeiter Heike Gätschenberger und Klara Azzami jetzt geändert. Mit aufwendigen Methoden haben sie es geschafft, den Bienennachwuchs außerhalb des Stocks unter Laborbedingungen aufzuziehen. In einer keimfreien Umgebung konnten sie so nicht nur das Schicksal jedes einzelnen Individuums als Larve und Puppe genau verfolgen, sondern auch Experimente mit dem Bienennachwuchs machen. Dabei stellten die Bienenlarven ihre guten Abwehrkräfte gegen Infektionen unter Beweis und produzierten zum Beispiel Peptide, die Bakterien abtöten.

Während die Larven sich ihrer Haut zu wehren wissen, werden sie Infektionen gegenüber genauso hilflos wie ein Embryo im Mutterleib, sobald sie sich verpuppen und zur erwachsenen Biene heranreifen. Da normalerweise weder im Mutterleib noch in abgeschlossenen Brut-Waben gefährliche Keime vorkommen, brauchen Bienenpuppen und Säugetier-Embryonen schließlich keine eigenen Abwehrkräfte. So streichen Arbeiterbienen die Wände der Waben mit keimtötendem Bienenharz und die Puppen befinden sich ähnlich wie auch ein Embryo in einer Art Isolierstation.

Wie Röteln beim Menschen

Dringt jedoch ein Keim in diese Isolierstation ein, wird es brandgefährlich. Erkrankt eine Schwangere zum Beispiel an Röteln, kann dies den Embryo schwer schädigen. Etwas Ähnliches passiert, wenn Varroa-Milben in einen Bienenstock eindringen. Diese Winzlinge vermehren sich in den abgeschlossenen Brut-Waben und ernähren sich dabei von den Körpersäften der Bienenpuppen. Die ausgesaugten Mengen sind viel zu gering, um den Nachwuchs direkt zu gefährden. Die Milben aber können beim Saugen Keime übertragen, die in der Puppe ohne eigene Abwehrkräfte verheerend wirken können.

Genau das haben Hildburg Beier und ihre Kolleginnen getestet, als sie Bienenpuppen mit überall vorkommenden und eigentlich völlig harmlosen Escherichia coli-Bakterien infizierten. Innerhalb weniger Stunden kollabierten die Puppen, und der Nachwuchs starb. "Während Bienenforscher bisher nur bekannte gefährliche Erreger im Auge behielten, die von der Varroa-Milbe übertragen werden könnten, sollte man nach unseren Untersuchungen jetzt auch eigentlich harmlose Keime mit Argusaugen betrachten", unterstreicht Jürgen Tautz die Bedeutung der Ergebnisse von der Würzburger Universität.