Zum Hauptinhalt springen

Die Öffentlichkeitsarbeit der Parlamente

Von Günther Schefbeck

Politik

Öffentlichkeit kaum die Zeit und auch die Sachkenntnis | aufbringen kann, um sich mit parlamentarischen Protokollen und parlamentarischen Materialien eingehend auseinanderzusetzen, hat sich folgerichtig und notwendig eine dritte Stufe der | Verfahrensöffentlichkeit herausgebildet, nämlich die mediale Verfahrensöffentlichkeit, die mediale Vermittlung des parlamentarischen Verfahrens durch die verschiedenen Medien, zunächst die Tages- und | Wochenzeitungen, schließlich auch die elektronischen Medien. | Hat das breite Spektrum der Printmedien, wie es etwa zu Beginn unseres Jahrhunderts existiert hat, ein den unterschiedlichen Bedürfnissen verschiedener Öffentlichkeiten noch durchaus angemessenes | Spektrum an Varianten der Parlamentsberichterstattung angeboten, so hat in den vergangenen Jahrzehnten die Verkürzung des Informationsstils, die charakteristisch ist für die elektronischen Medien, | insbesondere für das zum Primärmedium gewordene Fernsehen, auch auf die Printmedien rückgewirkt. | So hat sich in zunehmendem Maße eine Informationslücke aufgetan zwischen der unmittelbaren und der schriftlichen Verfahrensöffentlichkeit auf der einen und der medialen Öffentlichkeit des | parlamentarischen Verfahrens auf der anderen Seite. Eine Lücke, die merkbar wird in der Information über das parlamentarische Geschehen, über Inhalte, Verlauf und Ergebnisse der parlamentarischen | Arbeit, vor allem aber im Verständnis der oft komplexen parlamentarischen Verfahrensweisen. Diese Lücke in beiden Bereichen, jenem des parlamentarischen Geschehens wie auch des parlamentarischen | Verfahrens, zu schließen, erscheint heute als die zentrale Herausforderung, vor welche sich die Öffentlichkeitsarbeit der Parlamente gestellt sieht. | Um dieser Herausforderung gerecht werden zu können, muß parlamentarische Öffentlichkeitsarbeit allerdings einiges an Phantasie entwickeln, muß sie eine differenzierte Vorgehensweise | verfolgen, muß sie beginnen, ein breit gefächertes, auf unterschiedliche Be


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 25 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Ein häufig gehörter Vorwurf der Parlamentarismuskritik reduziert das Verhältnis zwischen Volk und Volksvertretung in der parlamentarischen Demokratie auf den einmaligen Akt der Kreation

des Parlaments in allgemeiner Wahl, auf den Akt der Stimmabgabe, der in der Regel nur einmal in vier Jahren zu setzen ist, und deutet die zugegebenermaßen mehrdeutige Formulierung "die Stimme

abgeben" im Sinne einer Abkoppelung des Parlaments von den Bürgerinnen und Bürgern in Zwischenwahlzeiten: Die Stimme abgegeben zu haben, bedeutet in diesem Verständnis also, nicht mehr mitreden zu

können, wenn sich im parlamentarischen Prozeß die staatliche Willensbildung vollzieht.

Tatsächlich ist das Verhältnis zwischen der Volksvertretung und dem Volk sehr viel komplexer und vielschichtiger. Vermittelt wird die Beziehung zwischen Volksvertretung und Volk zwischen den

einzelnen Wahlgängen über kontinuierlich ablaufende Kommunikationsprozesse, die zwischen den einzelnen Parlamentariern, den parlamentarischen Fraktionen bzw. dem Parlament in seiner Gesamtheit auf

der einen und den Bürgerinnen und Bürgern auf der anderen Seite ablaufen. Das Management der Kommunikationsprozesse zwischen dem Gesamtparlament und der Öffentlichkeit, kurz: "Die

Öffentlichkeitsarbeit der Parlamente". Dies war das Thema eines internationalen Seminars, das am 27. und 28. Mai im Rahmen des Arbeitsprogramms des Europäischen Zentrums für Parlamentarische

Wissenschaft und Dokumentation (EZPWD) im Hohen Haus stattgefunden hat.

Internationales Forum

Von Portugal bis Georgien, von Finnland bis Italien erstreckte sich der Kreis jener Staaten, deren Vertreter in Wien zusammenkamen, um hier Informations-, Erfahrungs- und Gedankenaustausch zum

Seminarthema zu betreiben. Mehr als 30 Parlamente hatten Praktiker ihrer Öffentlichkeitsarbeit, Bedienstete, die im Bereich der Informationsvermittlung, der Medienbetreuung und der Anwendung der

neuen Informationstechnologien tätig sind, entsandt.

Das EZPWD ist eine Vereinigung der Parlamente der Mitgliedstaaten der EU und des Europarates, die vor 22 Jahren entstanden ist. Am 11. Juni 1977 hat die Konferenz der Europäischen

Parlamentspräsidenten in Wien die Einrichtung eines solchen Zentrums beschlossen und die Präsidenten des Europäischen Parlaments sowie der Parlamentarischen Versammlung des Europarates

aufgefordert, die geeigneten Schritte dazu zu unternehmen. Im September 1977 ist das Zentrum dann offiziell gegründet worden.

Zu den Arbeitsmethoden des EZPWD hat von Anfang an die Abhaltung von Seminaren für Bedienstete der Mitgliedsparlamente gezählt. Verschiedene Seminare haben sich auch bereits mit Aspekten der

Öffentlichkeitsarbeit der Parlamente beschäftigt; so haben beispielsweise bereits drei Seminare, die seit 1996 in Paris, Den Haag bzw. Brüssel abgehalten worden sind, die Bedeutung des Internet für

die parlamentarische Arbeit im allgemeinen und die parlamentarische Öffentlichkeitsarbeit im besonderen ins Blickfeld genommen.

An dem bereits während dieser Veranstaltungen erfolgten Erfahrungsaustausch konnte auch das österreichische Seminar anknüpfen. Dennoch ging dem Seminar eine umfassende, möglichst viele Aspekte der

Öffentlichkeitsarbeit abdeckende Erhebung voraus, die durch Versendung eines Fragebogens an alle Mitgliedsparlamente des EZPWD durchgeführt wurde und einer Analyse des Ist-Standes der

parlamentarischen Öffentlichkeitsarbeit dienen sollte, um dadurch eine Diskussionsgrundlage für das Seminar zu schaffen. Eine erste vorläufige Auswertung zeitgerecht eingelangter Fragebögen

konnte den Seminarteilnehmern als schriftliches Arbeitspapier vorgelegt werden.

Seminarverlauf

Das Seminar selbst bot den Teilnehmern zunächst eine Palette von Informationsimpulsen an, die in vier Impulsreferaten enthalten waren: Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Langenbucher, Vorstand des Instituts

für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der Uni Wien, befaßte sich mit der Situation der parlamentarischen Öffentlichkeitsarbeit an der Bruchlinie zwischen traditionellen und modernen

Kommunikationstechniken, woraufhin der Meinungsforscher Univ.-Prof. Dr. Peter Ulram anhand des österreichischen Beispiels das Parlamentsverständnis der Öffentlichkeit skizzierte. Nachdem der Autor

des Berichts in seinem Referat die neuen Informationstechnologien als Medien der parlamentarischen Transparenzfunktion dargestellt hatte, ließ Franz Manola, beim ORF für das Online-Erscheinungsbild

verantwortlich, die Teilnehmer einen Blick auf die Medienwirtschaft und -technik der Zukunft tun.

Der Arbeitsschwerpunkt des Seminars lag allerdings nicht in dieser traditionellen Form frontaler Informationsvermittlung im Plenum, er lag in der dialogischen Form der Kommunikation, der

kleinere Arbeitsgruppen ein geeigneteres Forum boten. Diese hatten sich konstituiert, nachdem Mag. Barbara Blümel, Mitarbeiterin der Parlamentsdirektion, die vorläufige Auswertung der durchgeführten

Erhebung zur parlamentarischen Öffentlichkeitsarbeit präsentiert und damit den Arbeitsgruppen einigen Diskussionsstoff mit auf den Weg gegeben hatte.

Während sich eine Arbeitsgruppe mit den strategischen Optionen der parlamentarischen Öffentlichkeitsarbeit im Spannungsfeld zwischen Informationspolitik und Imagepflege sowie mit den

Evaluationsinstrumenten der Öffentlichkeitsarbeit beschäftigte, waren die beiden anderen Arbeitsgruppen den Anwendungen der modernen Informationstechnologien bzw. den traditionellen Werkzeugen der

Parlamentsdidaktik · wie Führungen und Publikationen · sowie dem Corporate design von Parlamenten gewidmet.

Die Berichte, welche die drei Arbeitsgruppen als Ergebnis ihrer Beratungen abschließend dem Plenum erstattet haben, werden gemeinsam mit den Texten der Impulsreferate und der endgültigen Auswertung

der durchgeführten Erhebung den Inhalt einer Publikation bilden, die im Herbst erscheinen und das Seminar dokumentieren soll.

Parlament und Öffentlichkeit

Welche Funktion hat nun die Öffentlichkeitsarbeit der Parlamente zu erfüllen? Werden, wie dies der traditionellen staatsrechtlichen Betrachtungsweise entspricht, Gesetzgebung, Kontrolle und

Mitwirkung an der Vollziehung als die Parlamentsfunktionen angesehen, dann kommt der Öffentlichkeitsarbeit allenfalls die Rolle einer Nebenaufgabe zu, die es in einer von den Medien wesentlich

mitgeprägten Gesellschaft zu erfüllen gilt, um diese Medien zufriedenzustellen und das · mitunter angekratzte · Image des Parlaments dadurch verbessern zu helfen.

Tatsächlich ist parlamentarische Öffentlichkeitsarbeit zeitweise auch so verstanden worden: als Medienbetreuung, durch Herausgabe eines Pressedienstes im Sinne eines traditionellen

"Verlautbarungsjournalismus", ergänzt durch Veröffentlichung einiger Informationsbroschüren für ein nicht näher definiertes allgemeines Zielpublikum und durch Veranstaltung mehr oder minder

kunsthistorisch orientierter Gebäudeführungen für Touristen und zwangsbeglückte Schülergruppen.

Ein tiefer schürfendes, politologisch fundiertes Verständnis der Parlamentsfunktionen schreibt dem Parlament hingegen jenseits der klassischen Trias Gesetzgebung/Kontrolle/Mitwirkung an der

Vollziehung eine weitere Funktion zu, deren Erfüllung der Öffentlichkeitsarbeit eine zentrale Rolle im parlamentarischen Aufgabenkatalog zuweist: die Transparenzfunktion.

Was heißt "Transparenz"? Was bedeutet "Transparenzfunktion"? Der Politologe Heinrich Oberreuter, der sich seit vielen Jahren mit dem Verhältnis von Parlament und Öffentlichkeit befaßt hat, definiert

in bester deutscher Gelehrtensprache folgendermaßen: "Transparenz parlamentarischen Verfahrens dient funktional der demokratienotwendigen Interdependenz der (relativ) autonomen Bereiche politischer

Kommunikation."

Diese Definition richtet unseren Blick also auf das parlamentarische Verfahren, welches den rechtlichen Rahmen bildet für eine bestimmte Form der politischen Kommunikation, nämlich jene, die

unmittelbar in der staatlichen Willensbildung mündet, verweist allerdings zugleich auf die Wechselbezüglichkeit zwischen diesem und anderen Bereichen der politischen Kommunikation, also

beispielsweise den verschiedenen Fachöffentlichkeiten, über gemeinsame Interessen konstituierten Öffentlichkeiten, aber auch einer schwerer faßbaren allgemeinen Öffentlichkeit, die aufgrund ihrer

Heterogenität traditionell kaum unvermittelt in Erscheinung treten konnte.

Diese Bereiche politischer Kommunikation werden als relativ autonom angesehen, d.h. sie verfügen über je eigene, mehr oder weniger formalisierte Muster interner Willensbildung, jedoch auch über das

Vermögen, die Willensbildung innerhalb anderer Bereiche materiell zu beeinflussen, was bereichsübergreifende Kommunikation voraussetzt. Diese Interdependenz nun erscheint demokratienotwendig, was

nicht weniger bedeutet als die These, daß die Transparenz des parlamentarischen Verfahrens, die Offenheit für Kommunikationsflüsse zwischen Parlament und Öffentlichkeit(en), zu den Wesensmerkmalen

der parlamentarischen Demokratie, die Transparenzfunktion zu den zentralen Parlamentsfunktionen zählt.

Damit ist auch der eingangs wiedergegebenen Aussage der Parlamentarismuskritik zu begegnen: Transparenz stellt sicher, daß es zu keiner Abkoppelung der Volksvertretung vom Volk kommt, die

Kommunikationsprozesse zwischen Parlamentariern, Fraktionen und Parlament einerseits und den verschiedenen Öffentlichkeiten auf der anderen Seite vermitteln einerseits Information über den

parlamentarischen Prozeß und die ihn leitenden Motive, andererseits erlauben sie es den Bürgerinnen und Bürgern, vor allem aber organisierten Interessen, sich in den parlamentarischen Prozeß

materiell einzubringen.

So weit die Theorie. Wie aber stellt sich parlamentarische Öffentlichkeitsarbeit in der Praxis dar? Vor welchen Herausforderungen steht sie?

Parlamentarische Öffentlichkeitsarbeit

Die Transparenzfunktion des Parlaments hat sich traditionell zunächst einmal in der Verfahrensöffentlichkeit niedergeschlagen, also in dem Grundprinzip, daß zumindest die Plenarverhandlungen im

parlamentarischen Verfahren öffentlich zugänglich sind.

Nun wissen wir natürlich, daß diese Form der Öffentlichkeit insofern eine formale bleiben muß, als die physische Anwesenheit im parlamentarischen Prozeß aus leicht einsichtigen praktischen Gründen

nur sehr wenigen Menschen möglich ist. Daher hat sie schon seit dem vorigen Jahrhundert ihre Korrespondenz gefunden in einer Form der schriftlichen Verfahrensöffentlichkeit, nämlich darin, daß das

parlamentarische Verfahren in schriftlicher Form verfügbar gemacht worden ist, also in Stenographischen Protokollen, und daß auch die Dokumente des parlamentarischen Verfahrens gedruckt und der

Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind.

Damit kann zwar ein weiterer Kreis der Öffentlichkeit bzw. können bestimmte Fachöffentlichkeiten erreicht werden, da aber die allgemeine