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Die ökologische Basis begehrt gegen die Spitze der Partei auf

Von Claudia Haas

Politik

Berlin - Es könnte wieder einmal ein deutsches Grünen-Treffen werden, das es in sich hat: Bei der Regionalkonferenz am Samstag in Bremen geht es schließlich um nicht weniger als die Zukunft der Partei, zusammengefasst im Entwurf für ein neues Grundsatzprogramm der Grünen. Das 72 Seiten starke Konzept mit dem Titel "grün 2020 - wir denken bis übermorgen" sorgte jedoch bereits im Vorfeld für Zündstoff.


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Die Kluft zwischen der Parteispitze und Teilen der Basis ist nach drei Jahren Regierungskoalition unübersehbar. "Die Grünen haben ihren Kurs wiedergefunden", lobte der Chef der Programmkommission, Reinhard Bütikofer, die Arbeit des Gremiums. "Die Grünen verleugnen Teile ihrer eigenen Geschichte und feiern ihre Ankunft in der Regierung", kritisierte dagegen einige Landesvorsitzende den Entwurf.

Eine "systemisierte" Partei

Ob zur Globalisierung, zur Gentechnik, zum Asyl oder zum Arbeitszwang für Sozialhilfeempfänger - zu vielen wichtigen Punkten fehlten in dem Entwurf klare grüne Positionen, lautete der Vorwurf der Landesvorsitzenden aus Niedersachsen, Thüringen und Bremen. Die Kritik aus den eigenen Reihen an die Adresse der Parteispitze reißt ein Jahr vor der Bundestagswahl nicht ab. "Die Grünen merken nichts", klagte der Grünen-Europaparlamentarier Daniel Cohn-Bendit. Und der Vorsitzende der parteinahen Heinrich-Böll-Stiftung, Ralf Fücks, warf den Grünen "Verständnislosigkeit" gegenüber Protestbewegungen wie den Globalisierungsgegnern vor. "Uns droht der Verlust der produktiven Unruhe, die aus der Reibung mit den herrschenden Verhältnissen entsteht", warnte er.

Mit Staunen betrachten nicht nur die Grünen den Zustrom, den das Anti-Globalisierungsnetzwerk "Attac" derzeit hat. Hunderte von Mitgliedern konnte die Organisation binnen kurzer Zeit verzeichnen - ein Interesse, von dem die Grünen nur träumen können. Signale aus der Partei zur Zusammenarbeit lehnen die Globalisierungsgegner entschieden ab. Eine Kooperation mit den Grünen komme nicht in Frage, "solange die Partei nicht mit ihrer zunehmend neoliberalen Wirtschaftspolitik bricht", schrieb Attac-Sprecher Christoph Bautz in der "Zeit". Und nicht ohne Häme fügte er mit Blick auf die Wahlniederlagen der Grünen in den vergangenen drei Jahren hinzu: "Die Noch-Sechs-Prozent-Partei wird erst dann wieder Boden unter die Füße bekommen, wenn sie nicht mehr in liberalen Fahrwassern zu fischen versucht."

"Bewegung" statt "Partei"

Auch die niedersächsische Grünen-Chefin Heidi Tischmann plädiert eindringlich dafür, "Bewegungen als Chance und Rückenwind und nicht als Gefahr zu sehen". Sie hofft, dass Bremen und die sechs anschließenden Regionalkonferenzen alte grüne Tugenden wiederbeleben können. "Wenn wir das Ruder rumreißen wollen, müssen wir wieder eine lebendige Partei werden", sagte sie.

Bald Auswechselspieler?

"Bei den Grünen geht es um Kopf und Kragen", sagt der Göttinger Parteienforscher Peter Lösche mit Blick auf die Bundestagswahl. Seit Monaten dümpelt die Partei in Umfragen bei fünf Prozent. Die Grünen sind zum Wackelkandidaten für die SPD geworden, während die FDP unter ihrem neuen Vorsitzenden Guido Westerwelle immer weiter zulegt. Der Spagat zwischen den Zwängen als kleinerer Regierungspartner und dem Festhalten an hehren Grundsätzen sei immer schwieriger zu gestalten, sagt Lösche. Die drei grünen Grundprinzipien Gewaltlosigkeit, direkte Demokratie und Ökologie würden zunehmend verwässert. Der Parteienforscher rät: Die Grünen müssten eine "deutliche Konfliktstrategie" fahren, das Profil schärfen und die grünen Werte hochhalten.