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Bei der siebenten Abstimmung des deutschen Parlamentes über Euro-Rettungshilfen gab es eine Panne: Erstmals wurde die sogenannte Kanzlermehrheit verfehlt. Darunter versteht man die Mehrheit aller Bundestagsabgeordneten aus der Regierungskoalition, unabhängig von der Zahl der Anwesenden, das ist also etwas mehr als die einfache absolute Mehrheit. Sogar mit den sechs abwesenden Abgeordneten aus den Regierungsfraktionen wäre die Kanzlermehrheit von 330 Stimmen für das 130-Milliarden-Paket nicht erreicht worden, weil sich immer mehr Abgeordnete aus CDU, CSU und FDP neuen Griechenland-Hilfen verweigern.
Allerdings wären auch die unterstützenden Stimmen von Rot und Grün nicht nötig gewesen, um den Beschluss zu fassen. Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU, Peter Altmaier, hat daher recht, wenn er sagt, dass es bei solchen Abstimmungen nie um die Kanzlermehrheit ging. Diese ist tatsächlich nur in wenigen Ausnahmefällen wie Vertrauensabstimmungen von Bedeutung. Man erinnert sich aber auch, wie heftig Kanzlerin Angela Merkel bei der Abstimmung um den Euro-Rettungsschirm im vergangenen September darum gerungen hat, ebendiese Mehrheit zu erringen - was natürlich an deren großer Symbolkraft liegt.
Diesmal ist es Merkel trotz innigem Bemühen nicht mehr gelungen, die Kritiker in den eigenen Reihen zu überzeugen. Das ist ein weiterer Beweis, dass es in der schwarz-gelben Regierungskoalition alles andere als rund läuft. Gerade erst hatte die CDU bei der Nominierung von Joachim Gauck zum Bundespräsidenten gegenüber dem kleinen Koalitionspartner FDP und der Opposition klein beigeben müssen.
Von einer beginnenden "Kanzlerdämmerung" oder Merkels schwer beschädigter Autorität zu reden, wie das die SPD tut, ist freilich eher tagespolitischem Kalkül geschuldet. Nichts spricht momentan dafür, dass die Koalition vor dem Wahltermin im Herbst 2013 zerbrechen könnte.
Das könnte sich allerdings ändern, wenn über ein drittes Griechenland-Hilfspaket, das in Europa und auch in Deutschland von einigen nicht ausgeschlossen wird, früher als erhofft abgestimmt werden müsste. Denn mit Innenminister Hans-Peter Friedrich hat sogar schon ein Regierungsmitglied Griechenland den Austritt aus der Euro-Zone nahegelegt.
Das ist weniger ein Alarmsignal für Merkel als für die Griechen selbst. Wenn mit den Deutschen die stärksten Geldgeber dem weit verbreiteten Anti-Griechenland-Populismus nachgeben, ist es zu einem chaotischen griechischen Staatsbankrott nur noch ein kleiner Schritt.