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Die Opferfamilien fühlen sich von der Politik missbraucht

Von Rainer Mayerhofer

Politik

Zwei Tage nach dem spanischen Regierungschef Jose Luis Zapatero, der seinem Vorgänger Jose Maria Aznar massive Täuschung der Öffentlichkeit nach den Madrider Attentaten am 11. März vorgeworfen hatte, erlebte der Untersuchungsausschuss des spanischen Parlaments einen bewegenden Höhepunkt in seiner nun seit Monaten andauernden Arbeit. Pilar Manjon, die ihren 20-jährigen Sohn Daniel bei den Anschlägen verloren hatte, warf den Politikern vor, die Tragödie der Angehörigen der 191 Todesopfer für parteipolitische Zwecke zu missbrauchen und forderte die Einsetzung eines neuen, parteilich ungebundenen Ausschusses, der sich mit den Hintergründen der Anschläge auseinandersetzen soll.


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Der Auftritt der 46-jährigen Pilar Manjon, einer aktiven Gewerkschafterin, die Sprecherin der Opferfamilien ist, war im Vorfeld umstritten. Die Volkspartei hatte ihr Sympathien für die Linke unterstellt und wollte ursprünglich nur einem Auftritt hinter verschlossenen Türen zustimmen. "Das war der letzte Schritt im Versuch, uns die Stimme zu nehmen, uns zu delegitimieren, uns dem politischen Spiel zu unterwerfen und in politische Schubladen einzureihen, aber das ist nicht unser Krieg", sagte Manjon, bei der sich nach ihrem Auftritt Politiker aller Parteien entschuldigten.

Pilar Manjon warf den Politikern vor, die Opfer der Anschläge als bequeme Waffe für parteipolitische Zwecke missbraucht zu haben. "Alles was wir verlangen sind drei Dinge: Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung, die als moralische Wiedergutmachung zu verstehen ist, den Geld umarmt uns nicht und tröstet uns nicht", sagte die Mutter, die bei ihrer beeindruckenden Rede mehrmals mit den Tränen kämpfte.

Dem Untersuchungsausschuss sei es bisher nur darum gegangen, wer zwischen dem 11. und 14. März mit wem gesprochen habe, wann er über was informiert worden ist. "Sie meine Herrschaften, haben über sich gesprochen. Wir, die Familien, waren nicht vorhanden", klagte Manjon die Ausschussmitglieder an. "Hier im Ausschuss gab es Jubel und Beifall, als ginge es um ein Fußballspiel", sagte die Sprecherin der Opferfamilien unter Hinweis auf frühere Zeugenbefragungen und fragte: "Über was haben Sie gelacht? Weshalb haben sie geklatscht?"

"Uns geht es darum, zu wissen, was vor den Attentaten geschehen ist. In einem neuen Ausschuss muss man aufklären, warum illegaler Sprengstoffhandel nicht untersucht wurde, warum Informationen über drohende terroristische Gefahren nicht ernst genug genommen wurden, warum es zuwenig Mittel, Polizisten und Übersetzer gegeben hat, um Terrorismusverdächtige zu überwachen". An die Medien appellierte Manjon, bei der Veröffentlichung von Fotos auf die Angehörigen Rücksicht zu nehmen.

Regierungschef Zapatero reagierte prompt auf Manjons Auftritt. Gestern wurde der Rektor der Carlos III.-Universität von Madrid, Gregorio Peces-Barba, von der Regierung als Hochkommissar für die Terrorismusopfer bestellt.