Zum Hauptinhalt springen

Die Opposition bleibt außen vor

Von Gerhard Lechner aus Minsk

Politik

Trotz Wahlboykott spricht Regime Lukaschenko von hoher Beteiligung.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Minsk. Diesmal nicht. Am 19. Dezember 2010, nach den letzten Präsidentschaftswahlen, waren an die 40.000 Menschen durch das Zentrum von Weißrusslands Hauptstadt Minsk gezogen, um gegen die vermutete Fälschung des Urnengangs zu demonstrieren, der dem autoritär regierenden Staatschef Alexander Lukaschenko weitere fünf Jahre an der Macht sicherte. Die Menge ergoss sich damals vom Oktoberplatz aus auf den Prospekt der Unabhängigkeit, Minsks zentral gelegene Prachtstraße aus der Stalin-Zeit. Die Autos auf der achtspurigen Fahrbahn wirkten wie kleine Inseln in dem wogenden Menschenmeer. Die Anhänger der verfemten Opposition brüllten sich in der klirrenden Kälte den lange aufgestauten Frust über das System Lukaschenko vom Leib. Als Hitzköpfe versuchten, das Gebäude, in dem die Wahlkommission untergebracht ist, zu stürmen - laut Opposition sollen es Provokateure gewesen sein -, schlug Lukaschenko zu, verhaftete sieben seiner acht Gegenkandidaten und rechnete mit seinen Gegnern ab.

Wohl auch deshalb fiel der Protest diesmal deutlich bescheidener aus - fast schon versteckt: Eine Gruppe von zehn Frauen hat sich am Wahlabend im Schatten der zentral gelegenen Katholischen Kirche in Minsk vor einem Denkmal versammelt, das den Erzengel Michael als Drachentöter zeigt - eine politische Anspielung. Sie singen Lieder in der vom Präsidenten nicht sonderlich geschätzten weißrussischen Sprache. Am Ende tritt eine junge Frau vor und ruft zwar laut, aber kurz und gepresst, als müsste sie sich beeilen, ein "Schywe, Belarus!": Der weißrussische Ruf, der einfach nur "Lebe, Weißrussland" bedeutet, gilt als Erkennungszeichen der Opposition und wird von den an diesem Abend überall postierten "Schwarzen", den Ordnungskräften des Sicherheitsdienstes KGB, nicht gerne gehört. Danach packt die Frau ihr weiß-rot-weißes Halstuch wieder ein - die frühere Staatsflagge gilt ebenfalls als subversiv, seit sie Lukaschenko mittels eines Referendums entsorgt und durch ein Symbol aus der Sowjetzeit ersetzt hat. Die Gruppe löst sich auf - die Sicherheitskräfte in Zivil mit ihren schwarzen Jacken und Hauben und die Milizionäre mit den breiten Tellermützen sind an diesem feuchtkalt-regnerischen Abend wieder allein an ihren Kontrollpunkten.

Es sind Wahlen in Belarus, Parlamentswahlen, aber sonderlich bedeutend sind sie nicht: Seit Lukaschenko im Jahr 1996 die Volksversammlung vollständig entmachtet hat, spielt das nunmehrige Zweikammern-Parlament nur noch eine dekorative Rolle im Polit-System, das ganz auf den Präsidenten und seine Verwaltung zugeschnitten ist. Die Versammlung, deren Mitglieder oder politische Parteien kaum jemand kennt, winkt die Gesetzesvorgaben von oben durch - nur ein Gesetz in den letzten vier Jahren hatte von der Volksvertretung, in der kein Oppositioneller sitzt, seinen Ausgang genommen: eine Verordnung über den Umgang mit Haustieren. Auch deshalb hatten die beiden konservativen Oppositionsparteien - Bürgerpartei und Volksfront - ihre Kandidatur für den Urnengang zurückgezogen und zum "Bajkot", zum Wahlboykott aufgerufen. Ein Internet-Video der Opposition unter dem Motto "Ich gehe nicht hin" zeigt, was man am 23. September stattdessen tun sollte: Angeln, Pilze suchen, seinem Enkel Märchen vorlesen - und Schach spielen, denn das sei wenigstens "ein ehrliches Spiel".

Boykottaufruf zeigt Wirkung

Dass die Zahlen, die die Regierung angibt, stimmen - 74,2 Prozent sollen sich an der Wahl beteiligt haben - glaubt auch Sjarhei nicht. "Ich kenne niemanden, der hingegangen ist", meint der Mittzwanziger - mit Ausnahme eines Bekannten: Der wohne in einem Studentenheim. "Dort musst Du quasi hingehen - immerhin hängt Dein Heimplatz davon ab. Es werden Listen geführt über die Teilnahme an der Wahl", meint Sjarhei. In Studentenheimen werde ebenso wie in der Armee, in Krankenhäusern oder bei anderen offiziellen Stellen auch früher abgestimmt - nach offiziellen Angaben haben 28 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme schon vor dem letzten Wahltag, dem Sonntag, abgegeben. Dass es dabei mit rechten Dingen zugegangen ist, glaubt Sjarhei nicht: "Die legen die Ergebnisse doch schon vorher fest. Ich habe Aufnahmen gesehen, wo eine Putzfrau einen Saal reinigt, in dem Wahlurnen aufbewahrt werden. Gesichert war da offensichtlich gar nichts", meint der junge Mann, der bereits beschlossen hat, gemeinsam mit seiner Freundin das Land zu verlassen. Das Regime Lukaschenko zeichnet indessen im Staats-TV ein gänzlich anderes Bild: Sympathische Stars aus der Showbranche und bekannte Sportler werden beim Wählen gezeigt. Entgegen den Boykottaufrufen der Opposition betonen sie die Wichtigkeit des Urnengangs. Handverlesene Politologen und Wahlbeobachter bescheinigen dem Regime einen ordentlichen Wahlprozess - anders als die OSZE, die die Parlamentswahlen als unfair verurteilte. Erfolg oder Misserfolg der Parteien oder Kandidaten war am Wahlabend kein Thema - erst am nächsten Tag war klar, dass es wieder kein Oppositioneller ins Parlament schaffte.