Zum Hauptinhalt springen

Die orange Revolution hat gesiegt

Von Piotr Dobrowolski

Politik

Nach der Auszählung von 99 Prozent der Stimmen war gestern klar: Der Oppositionskandidat Wiktor Juschtschenko hat mit einem Vorsprung von mehr als acht Prozent auf seinen Gegner Wiktor Janukowitsch die ukrainischen Präsidentschaftswahlen gewonnen. Juschtschenko kam auf 52,2 Prozent, Janukowitsch auf knapp 44 Prozent. Die orange Revolution hat gesiegt.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 19 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wiktor Juschtschenko war sich seiner Sache schon am Sonntag ganz sicher. Die orange Revolution werde siegen, sagte der ukrainische Oppositionschef bei der Stimmabgabe in Kiew. Er sollte Recht behalten: Nach Angaben der Zentralen Wahlkommission vom Montag wird der 50jährige prowestliche Banker nächster ukrainischer Präsident. Anders als bei der nun wiederholten zweiten Runde vom 21. November wird es diesmal kein tagelanges Tauziehen um das Wahlergebnis geben: Die Zentrale Wahlkommission veröffentlichte ihre Ergebnisse sehr schnell, die obersten Stimmenzähler verschanzten sich diesmal auch nicht hinter Barrikaden aus Stacheldraht und gepanzerten Armeefahrzeugen. Am Kiewer Unabhängigkeitsplatz, dem Zentrum der orangen Revolution hatten die Siegesfeiern kein Ende. Mit Tränen in den Augen nahm Wiktor Juschtschenko einen fünfzehn Meter langen orangen Schal entgegen, den ihm die Song-Contest-Siegerin Ruslana überreichte. "Vor dreizehn Jahren wurden wir unabhängig", sagte Juschtschtschenko. "Jetzt sind wir frei". Dann wickelte er sich und seine nächste Mitarbeiter mit dem Riesenschal ein.

"Ich werde eine Wahlniederlage akzeptieren", erklärt indessen der unterlegene Regierungskandidat Wiktor Janukowitsch. Mit versteinerter Miene kündigte Janukowitsch vor der Presse zugleich aber "härteste Opposition" gegen Juschtschenko an. Das klang fast so, als ob er die erfolgreiche orange Revolution mit einer blauen - so die Farbe seiner Kampagne - Konterrevolution bekämpfen wollte. Anders als noch vor wenigen Wochen steht Janukowitsch nun aber allein da: Der scheidende Präsident Leonid Kutschma hat ihn bereits vor Tagen fallen lassen, nun gehen sogar die ostukrainischen Oligarchen auf Distanz. Rinat Achmetow, der mächtigste Mann im Donezk-Becken und Janukowitschs größter Sponsor, hat der Idee einer blauen Konterrevolution umgehend eine deutliche Absage erteilt: "Auch nach einem Sieg von Juschtschenko werden die Leute im Donezk weiterleben und weiterarbeiten können. Die Führer der Opposition sind vernünftige Leute."

Angesichts des überwältigenden Vorsprungs von Juschtschenko hat Parlamentspräsident Wladimir Litwin gestern unverzügliche Vorbereitungen für die Amtsübergabe von Kutschma zu Juschtschenko angeordnet. Die von Janukowitsch angekündigten Beschwerden wegen angeblicher Wahlverstöße will Litwin nicht abwarten: "Wenn der Vorsprung bei fast zehn Prozent liegt, sind Beschwerden bei Gericht müßig".

Zwischen dem 11 und 14. Jänner könnte die Amtsübergabe erfolgen. Dann werden auf Juschtschenko harte Zeiten zukommen: Zunächst einmal muss er eine Regierung bilden und dabei eine Balance finden, die alle in seinem Oppositionsbündnis vertretenen Kräfte zufrieden stellt - von Sozialisten bis zu den Nationalen. "Er darf dabei aber keinesfalls den Eindruck erwecken, dass hier mit Ministerposten geschachert wurde", warnt Anatoli Kinach, früher selbst Premier, und heute neben Julia Timoschenko und Oleksander Moroz einer der engsten Mitarbeiter Juschtschenkos.

Juschtschenkos erstes

Problem heißt Kutschma

Gleichzeitig muss Wahlsieger Juschtschenko auch irgendwie mit dem Problem Kutschma fertig werden. Kutschma hat letztlich einen wichtigen Beitrag zum Sieg der orangen Revolution geleistet, indem er zuerst auf Gewalteinsatz verzichtete und dann seinen russlandtreuen Wunschnachfolger Janukowitsch fallen ließ. Gleichzeitig war Kutschma aber auch einer der Hauptverantwortlichen für die Wahlfälschungen im November.

Juschtschenko streitet ab, dass er einen Deal mit Kutschma abgeschlossen hat, der dem scheidenden Präsidenten für die Duldung der orangen Revolution im Gegenzug Straffreiheit zusichert. "Es gab keine Absprachen. Mehr als vier Millionen Stimmen wurden im November gefälscht, da kann es keine Amnestie geben", sagte Juschtschenko noch am Sonntag Abend. Stimmt seine Aussage, dann müsste er Kutschma vor Gericht stellen.

Wirtschaftsprobleme

Schwierig wird Juschtschenko auch die Konsolidierung der Wirtschaft fallen. Zwar weist die Ukraine heuer einen zweistelligen BIP-Zuwachs auf, dennoch fallen seriösen Schätzungen zufolge rund 50 Prozent der Gewinne weiterhin in den Bereich der Schattenwirtschaft und werden somit an der chronisch maroden Staatskassa vorbeigeschleust. Um dieses Missverhältnis zu beheben, wird Juschtschenko sich entweder radikal mit der Oligarchie anlegen oder sie mit Zugeständnissen zur teilweisen Kooperation ermuntern müssen.

Ins Reine kommen muss Juschtschenko auch mit Russland. Denn trotz der angekündigten EU-Ausrichtung seiner Politik, wird er an dem mächtigen Nachbarn nicht vorbeikönnen. Was ihm auch bewusst ist: "Bei meinem ersten Besuch in Moskau will ich über eine neue Strategie der gegenseitigen Beziehungen sprechen." Dem Vernehmen nach will Juschtschenko Putin eine neue Partnerschaft mit Kiew vor allem durch Investitionsmöglichkeiten für russische Firmen schmackhaft machen. Das birgt freilich die Konsequenz in sich, sagen Experten, dass der russische Einfluss in der Ukraine, gegen den die orange Revolution unter anderem protestiert hat, weiter groß bleibt.