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Gemessen am anhaltend zügigen Wirtschaftswachstum, einer überdurchschnittlich stark steigenden Produktivität, der besten Lohnstückkostenposition seit bald fünfzig Jahren, der fast perfekten | Preisstabilität, der signifikanten Trendwende am Arbeitsmarkt, einer strukturellen Verbesserung der Handels-, Dienstleistungs- und Reisebilanz sowie der eleganten Sanierung der Staatsfinanzen ohne | wirklich schmerzhafte Roßkuren, befindet sich die österreichische Gesamtwirtschaft derzeit in der komfortabelsten Wettbewerbsposition seit einem halben Jahrhundert ("Kamitz-Ära"), noch dazu auf einem | fünfmal so hohen Wohlstandsniveau wie damals und einem doppelt so hohen wie um 1970.
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Vor diesem Hintergrund werden sogar Anspielungen an das legendäre "Wirtschaftswunder" wieder modern. Die gängige in- und ausländische Wirtschaftskritik gerät unterdessen mit undifferenzierten und
unwägbaren Behauptungen über angebliche Systemfehler (Bürokratie, Steuerdruck, Sozialnetz etc.) gegenüber der nachweisbar potenten Realwirtschaft in einen unlösbaren Beweisenotstand. Entweder werden
mögliche Strukturmängel eindimensional überbewertet, oder sie sind zu leichtgewichtig, um die viel mächtigeren Auftriebskräfte paralysieren zu können. In Wahrheit ist es unsere besonders hohe
Produktivität, die alle nur denkbaren Schwachstellen überstrahlt.
Wirtschaftswachstum
Vor allem seit dem EU-Beitritt hat sich die wirtschaftliche Dynamik Österreichs prächtig entwickelt und zwar von 1,9% p.a. in der gleichlangen Vorperiode (1990/94) auf 2,4% (1994/98) für das BIP.
Die Zuwachsrate der Produktivität (BIP je Erwerbsperson) stieg von 1,5% auf 2,3% und jene des realen Pro-Kopf-Einkommens von 1,0% (1990/94) auf 2,2% (1994/98). Allen Befürchtungen zum Trotz hatten
demnach alle Maßnahmen zur Erfüllung der Kriterien von Maastricht und vor allem der harte Budgetkurs kaum einen Einfluß auf den wirtschaftlichen Fortschritt, weil deren restruktive Einflüsse auf die
Binnennachfrage durch die hohe Konkurrenzfähigkeit im Export und die hohe Standortqualität überkompensiert wurden. Überdies mußte nicht einmal der private Konsum kurzfristig eingeschränkt werden,
weil jederzeit auf das hohe private Sparkapital zurückgegriffen werden konnte. Der ökonomische Durchbruch seit Beginn der EU-Integration offenbart sich besonders in einer Vervielfachung der
industriellen Dynamik von 0,8% p.a. vor dem Beitritt (1990/94) auf 4,3% p.a. (1994/98), sowie in einer enormen Expansion des Warenexportes um über 50% seit 1994 (1990/94: nur 10%). Gleichzeitig wurde
1998 mit 1,7% der höchste Marktanteil aller Zeiten am gesamten OECD-Export und mit 1,25% der höchste Weltmarktanteil überhaupt erobert.
Hauptursachen dieses historischen Durchbruchs sind neben den heilsamen Effekten des Euro eine nahezu unbemerkt gebliebene sensationelle Entwicklung der Produktivität. Laut Wifo ist die Produktion je
Arbeitsstunde in der heimischen Industrie seit 1980 auf das 2,5-fache gestiegen, das sind mehr als 5% pro Jahr. Die Konkurrenz konnte mit diesem enormen Produktivitätsschub nicht entfernt mithalten.
Japan bleibt vergleichsweise um 16% zurück, Schweden um 20%, Deutschland, Großbritannien und die USA um 25 bis 27%, sowie Frankreich, Holland und Italien um je 32 bis 33% und Dänemark um 45%.
Generell liegen unsere Lohn-Stückkosten (einschließlich aller Lohnnebenkosten) im Vergleich zu allen Handelspartnern heute um 15% niedriger als 1980 und besser als in allen Dezennien seit der "Kamitz-
Ära" in den frühen 50er Jahren.
Preisstabilität
Die Erfolge an der Preisfront sind seit dem EU-Beitritt deshalb so beeindruckend, weil sie ohne den geringsten Deflationsschock realisiert werden konnten. Der Rückgang der Preisrate von 3,0%
(1994) auf 0,9% (1998) und 0,5% (Mai 1999) ist wesentlich deutlicher als jener in der EU insgesamt von 3,0% auf 1,7% und im gesamten OECD-Raum von 5,0% auf 3,7% im Vorjahr. Dadurch hat sich das
heimische Preisniveau dem der EU angepaßt und unterscheidet sich nur noch marginal von jenem der Nachbarn Deutschland und Italien. Der Einkaufstourismus hat demgemäß stark nachgelassen. Laut Wifo
wäre ohne EU-Beitritt der Preisauftrieb jährlich um 0,4% bis 0,6% stärker ausgefallen. Der "Ederer-Tausender" ist heute Realität, zwar spät, aber doch. Die theoretisch deflatorischen Einflüsse der
wachsenden Konkurrenz werden durch große Produktivitätserfolge, niedrige Zinsen, mäßige Lohnrunden, sinkende Materialkosten und vergleichsweise moderate direkte Steuern unterlaufen.
Günstige Arbeitslage
Trotz restriktiver Budgetpolitik und wachsendem Wettbewerb ist unsere Arbeitslage nach wir vor beeindruckend günstig. Qualitativ ist sie übrigens noch erheblich besser als quantitativ, weil die
wichtigeren Segmente Jugendarbeitslosigkeit und Langzeitarbeitslosigkeit einerseits, und Saisonarbeitslosigkeit, Fluktuationsarbeitslosigkeit, sowie die der "Schwervermittelbaren" andererseits
überhaupt nicht gleichwertig sind. Insbesondere in den sozial gefährlichsten Sparten (Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit) erreicht Österreich mit jeweils nur einem einzigen Prozentpunkt der
globalen Rate, noch dazu mit sinkender Tendenz, international eine Vorbildfunktion.
Dessen ungeachtet sinkt seit Frühjahr 1999 auch die Gesamtrate in einem nicht mehr gekannten Ausmaß. Die markante Verbesserung unserer Arbeitslage wird überdies durch die anhaltende Zunahme der
Gesamtbeschäftigung um 1% p.a., sowie durch die Explosion der "offenen Stellen" um satte 30% überzeugend charakterisiert.
Leistungsbilanz
Seit dem EU-Beitritt wird die Leistungsbilanz durch die auferlegten EU-Beiträge netto um zusätzliche 0,6% des BIP belastet. Dadurch stieg das Defizit seither über die Toleranzgrenze von 1% (des
BIP), und zwar von 1,5% (1994) auf 2,4% (1997), sank aber zuletzt wieder auf 2,1% (98). Das ökonomisch viel aussagekräftigere Defizit der reinen Güter- und Dienstleistungsbilanz erhöhte sich
gleichzeitig von 0,3% (1994) auf 1,6% (1997), verbesserte sich aber schon im Vorjahr ganz beträchtlich auf 0,7%. Ohne EU-Beitrag wäre das Defizit 1998 mit 1,5% nicht mehr höher gewesen als vor dem
Beitritt.
Den entscheidenden Beitrag zur endgültigen Lösung der Leistungsbilanz-Problematik liefert die Außenhandelsbilanz, zumal der Warenexport von 1994 bis 1998 um mehr als 50% expandierte, der Import
indessen nur um 34%. Dadurch schmolz das Waren-Defizit von 5,2% des BIP auf genau die Hälfte, nämlich 2,6%. Da gleichzeitig der Reiseverkehr seine frühere Rolle als Devisenbringer zurück gewinnt,
kann die temporäre Leistungsbilanzschwäche endgültig ad acta gelegt werden, zumal der Intra-EU-Handel als Indikator ausfällt und die Bilanz mit Drittländern hochaktiv ist.
Staatshaushalt
Dank Wirtschaftsaufschwung und Preisstabilität übertrifft der Budgetsanierungserfolg seit 1995 alle Prognosen mehr als deutlich. Die radikale Absenkung des Staatsdefizits von 5,1% (1995) auf 1,9%
(1997) gelang zur Gänze durch Senkung der Ausgabenquote und nicht (wie oft kolportiert) durch Anhebung der Einnahmenquote (die steigende Steuerquote wurde durch fallende Quoten der Sozialabgaben und
der sonstigen Einnahmen aufgewogen). Die wenigen kritischen Empfehlungen im jüngsten OECD-Bericht für Österreich stützen sich noch auf eine überholte Schätzung des Staatsdefizits für 1998 von 2,1%
des BIP, die bereits revisionsbedürftig ist.
Bund und Wien haben nämlich im Vollzug erheblich besser abgeschnitten als erwartet, sodaß eine ähnlich erfreuliche Überraschung wie für 1997 auch für 1998 (und 1999 ?) bevorstehen dürfte. Nicht
einmal die Steuerreform 2000 mit einer Belastung von 1,1% des BIP kann deshalb die endgültige Sanierung der Staatsfinanzen noch gefährden. Solange die Staatsausgaben (wie schon seit 1995) schwächer
steigen als das Sozialprodukt, ist "Maastricht" für Österreich kein Thema mehr.
Schlußfolgerungen
Jeder unqualifizierten EU-Kritik ins Stammbuch:
1. Ohne EU-Beitritt und ohne Euro wäre Österreich im Wirtschaftswachstum, genauso wie die Schweiz, auf der "Kriechspur" hängen geblieben und wäre keinesfalls wieder auf den traditionellen
"Überholkurs" zurückgekehrt. Es hätte weder Japan im realen Pro-Kopf-Einkommen den Rang abgelaufen, noch wäre es dem übermächtigen Vorbild Schweiz bis auf 10% nahegerückt, nachdem zuvor schon der
eidgenössische Vorsprung von ursprünglich 140% (1950), bzw. 70% (1970) und 27% (1990) spektakulär demontiert wurde.
2. Ohne EU-Beitritt hätten wir niemals das Inflationsproblem so vorbildlich gelöst und seit 1994 die Preisrate von 3% auf nahezu Null gedrückt. Die Angleichung an das EU-Niveau wäre unerreichbar
geblieben.
3. Ohne EU-Beitritt hätten wir auch nicht das höchste Beschäftigungsniveau aller Zeiten erreicht und die plötzliche Trendwende am Arbeitsmarkt zustande gebracht.
4. Ohne Euro wäre im Export weder der höchste Weltmarktanteil aller Zeiten errungen worden, noch hätten wir die positive Trendwende im Tourismus geschafft.
5. Ohne EU-Beitritt wäre es auch nicht zur eleganten und dank hoher Produktivität nahezu schmerzfreien Budgetsanierung gekommen. Hauptquelle der zukunftsträchtigen Position unseres Landes ist ein
hohes Produktivitätsniveau, das gleichzeitig die Lohn-Stückkosten minimiert, der Inflation den Boden entzieht, die öffentliche Ausgabenquote automatisch senkt und damit die Budgetpolitik sehr
erleichtert, weiters die Zinsen drückt, Konsum, Investition und Export fördert und damit schließlich auch gute Beschäftigung garantiert. Statt sich ständig in populistischen und kurzlebigen
Randthemen zu verbeissen, sollten wir doch eher auf unsere wirtschaftlichen Leistungen stolz sein, ohne darob selbstgefällig zu werden.
Prof. Dr. Anton Kausel leitete von 1956 bis 1973 die Abteilung Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung und Öffentliche Finanzen im Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo). Anschließend war er im
Österreichischen Statistischen Zentralamt (ÖSTAT) tätig. Von 1981 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1984 bekleidete er das Amt des Vizepräsidenten.